Ich möchte meine Ausführungen zu Hugo Loetschers Figur des Immunen als eines Grenzgängers in den Rahmen einiger allgemeiner Überlegungen zum Problem der Grenze in der modernen Literatur stellen. Soweit ich sehe, hat vor allem der russische Semiotiker Jurij M. Lotman über die Rolle der Grenze im literarischen Text nachgedacht 1. Im Normalfall wird die dargestellte Welt in zwei Teile aufgeteilt, welche durch eine Grenze getrennt sind. Es gibt Figuren, die an den einen der beiden Teile gebunden sind, während der Held als dynamische Figur die Grenze überschreiten kann. Das Ereignishafte des Textes oder das Sujet, wie Lotman sagt, ist die Entfaltung dieser Grenzüberschreitung, welche nicht in einem einmaligen Akt geschehen muss, sondern auch in einer Hierarchie von Sujetbewegungen geschehen kann. Das klassische Schema dieser Grenzüberschreitung besteht darin, dass der Held von einer Welt A durch Überschreiten einer Grenze in eine Welt B gelangt, wo er einige Abenteuer zu bestehen hat, um dann am Ende wieder in die Welt A zurückzukehren. Als Illustration dieser semantischen Organisation kann der noch ganz den Gestaltungsprinzipien des realistischen Romans verpflichtete Zauberberg gelten, wo die beiden semantischen Welten, wie übrigens immer bei Thomas Mann, in einem topologischen Gegensatz, in diesem Fall im Gegensatz des Flachlandes und der Bergwelt abgebildet werden. Die Bergwelt, welche mit den Attributen der Unterwelt und des Todes versehen ist, wird, wie wir dies aus der Mythologie kennen, durch ein Wasser, in diesem Fall durch den Bodensee, von der Welt des Flachlandes abgetrennt. Hans Castorp ist der Held, welcher diese Grenze überschreitet und hier stufenweise in die Eigenheiten der Bergwelt eindringt, um am Ende seines Lebens wieder in die bürgerliche Welt des Flachlands zurückzukehren. Man hat deshalb nicht zu Unrecht den Zauberberg einen Bildungsroman genannt. Eine solche Grenze setzt voraus, dass es im Text mindestens zwei einander entgegengesetzte semantische Welten gibt. Im modernen Roman, der nicht mehr der realistischen Darstellungsweise verpflichtet ist und der auf die Vermittlung von Werten