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Kunstbetrachtung als MeditationIm Laufe des 18. Jahrhunderts verändern sich die Formen der Kunst-Rezeption: Die Auseinandersetzung mit Kunstwerken fungiert nicht mehr vor allem als Anlass für gesellige Diskussionen mit dem Anspruch von Kennerschaft, sondern wird mehr und mehr mit dem Anspruch der Nach-Schöpfung und der meditativen Versenkung verbunden. Diese beiden Rezeptions-Stile lassen sich sowohl nationalen -französisch versus deutsch -Stereotypien zuschreiben als auch nach Geschlechtern -weiblich gegen männlich -zuordnen. Darüber konturieren sich in diesen verschiedenen Arten des Umganges mit der Kunst klassenspezifische Habitualisierungen: Das Entstehen der bürgerlichen Kunstreligion ist direkt mit den neuen, reflexiv-meditativen Rezeptionsformen verbunden.Paragrana 22 (2013) 2 ten, und damit ist sie zu einer ganz besonderen geworden, gottbegeistert, en-theos eben (Bilstein 1996).Übersetzt als "inspiration" bzw. später dann als "Begeisterung" mündet diese Vorstellung jenseitigen Einwirkens schließlich in die Genie-Ästhetiken der europäischen Spätaufklärung, um dort das alte -horazische -Gleichgewicht zwischen ingenium und studium nahezu vollständig zugunsten einer mehr oder weniger göttlich generierten Gabe zu verschieben (Brumlik 2009).Dabei liegt der Akzent freilich naturgemäß immer auf dem Machen und Gestalten: Der Künstler, sei er noch so genialisch verstanden, mag sich zwar eine Zeit lang in Meditation versenken, schließlich aber muss er doch etwas herstellen, ein Kunstwerk produzieren; Kontemplation und Meditation sind ihm da in der Regel eher Vorbereitung denn Teil des eigentlichen künstlerischen Aktes (Bilstein 2009). Vor dem Bild: aktiv oder kontemplativBei den Diskursen über die Rezeption der Kunst jedoch liegen die Verhältnisse etwas anders. Da gibt es eine lange Tradition kontemplativer Ansprüche, da gibt esvor allem -eine lange Tradition geradezu polemisch konturierter Vergleiche und Konkurrenzen. Auf ein frühes Beispiel hat Wolfgang Kemp hingewiesen (1989). Abb. 1: Simon Marmion, Altarbild von St. OmerAuf dem Simon Marmion zugeschriebenen Altarbild von St. Omer, in dem er ca. 1460 das Leben des Hl. Bertin dargestellt hat, sind -im Hintergrund des Bildeszwei Betrachter-Gruppen zu sehen, die sich mit einem umlaufenden Fresko -einem Totentanz mit darunter stehenden Inschriften -auseinandersetzen.Die eine Paargruppe auf der linken Seite ist offensichtlich ins Gespräch vertieft; einer scheint den anderen auf ein Detail hinzuweisen, hat -ganz à la mode -eine Hand hinter den Rücken genommen. Die beiden reden ganz offensichtlich über das,
Kunstbetrachtung als MeditationIm Laufe des 18. Jahrhunderts verändern sich die Formen der Kunst-Rezeption: Die Auseinandersetzung mit Kunstwerken fungiert nicht mehr vor allem als Anlass für gesellige Diskussionen mit dem Anspruch von Kennerschaft, sondern wird mehr und mehr mit dem Anspruch der Nach-Schöpfung und der meditativen Versenkung verbunden. Diese beiden Rezeptions-Stile lassen sich sowohl nationalen -französisch versus deutsch -Stereotypien zuschreiben als auch nach Geschlechtern -weiblich gegen männlich -zuordnen. Darüber konturieren sich in diesen verschiedenen Arten des Umganges mit der Kunst klassenspezifische Habitualisierungen: Das Entstehen der bürgerlichen Kunstreligion ist direkt mit den neuen, reflexiv-meditativen Rezeptionsformen verbunden.Paragrana 22 (2013) 2 ten, und damit ist sie zu einer ganz besonderen geworden, gottbegeistert, en-theos eben (Bilstein 1996).Übersetzt als "inspiration" bzw. später dann als "Begeisterung" mündet diese Vorstellung jenseitigen Einwirkens schließlich in die Genie-Ästhetiken der europäischen Spätaufklärung, um dort das alte -horazische -Gleichgewicht zwischen ingenium und studium nahezu vollständig zugunsten einer mehr oder weniger göttlich generierten Gabe zu verschieben (Brumlik 2009).Dabei liegt der Akzent freilich naturgemäß immer auf dem Machen und Gestalten: Der Künstler, sei er noch so genialisch verstanden, mag sich zwar eine Zeit lang in Meditation versenken, schließlich aber muss er doch etwas herstellen, ein Kunstwerk produzieren; Kontemplation und Meditation sind ihm da in der Regel eher Vorbereitung denn Teil des eigentlichen künstlerischen Aktes (Bilstein 2009). Vor dem Bild: aktiv oder kontemplativBei den Diskursen über die Rezeption der Kunst jedoch liegen die Verhältnisse etwas anders. Da gibt es eine lange Tradition kontemplativer Ansprüche, da gibt esvor allem -eine lange Tradition geradezu polemisch konturierter Vergleiche und Konkurrenzen. Auf ein frühes Beispiel hat Wolfgang Kemp hingewiesen (1989). Abb. 1: Simon Marmion, Altarbild von St. OmerAuf dem Simon Marmion zugeschriebenen Altarbild von St. Omer, in dem er ca. 1460 das Leben des Hl. Bertin dargestellt hat, sind -im Hintergrund des Bildeszwei Betrachter-Gruppen zu sehen, die sich mit einem umlaufenden Fresko -einem Totentanz mit darunter stehenden Inschriften -auseinandersetzen.Die eine Paargruppe auf der linken Seite ist offensichtlich ins Gespräch vertieft; einer scheint den anderen auf ein Detail hinzuweisen, hat -ganz à la mode -eine Hand hinter den Rücken genommen. Die beiden reden ganz offensichtlich über das,
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