Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit spielt sich derzeit eine außergewöhnliche Auseinandersetzung zwischen den Regierungsgewalten in der Bundesrepublik ab. Es geht um die sogenannte Armutsmigration in der Europäischen Union, also die soziale Absicherung von nicht-erwerbstätigen EU-Bürgern. Zur besseren Lesbarkeit benutze ich das generische Maskulinum. Ihr genereller Ausschluss aus dem Arbeitslosengeld II war europarechtlich lange umstritten, bis ihn der Europäische Gerichtshof Ende 2014 billigte. Die Rechtsprechung in der deutschen Sozialgerichtsbarkeit blieb dennoch heterogen, da das Bundessozialgericht eine Absicherung über die Sozialhilfe aus dem Grundgesetz herleitete. Diese Frage bleibt in der Gerichtsbarkeit strittig, obwohl der Gesetzgeber zwischenzeitlich Ansprüche verneinte. Der Beitrag erklärt diese Auseinandersetzung innerhalb und zwischen den deutschen Staatsgewalten mit einem existierenden europäischen Regelungsdefizit. Die europäische Koordinierung der Sozialversicherung sichert das weitgehend durch den Europäischen Gerichtshof gestaltete europäische Freizügigkeitsrecht nur unzureichend ab. Vergleichende Fallstudien von Dortmund, Gelsenkirchen und Bremerhaven zeigen die kommunalen Schwierigkeiten, dieses europäische Regelungsdefizit zu bearbeiten. Unterschiedliche Strategien können die Probleme auf dieser Ebene nicht lösen. Die aus den legislativen Vorgaben ausbrechende Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit, so das Argument, ist Ausdruck dieser Notlage.