Der Einfluss internationaler Organisationen und transnationaler Diskurse auf die Entwicklung der Sozialpolitik ist so alt wie der Sozialstaat selber. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verhandelten Experten und Beamte auf internationalen Kongressen, Weltausstellungen und später in internationalen Organisationen über eine Antwort auf die Soziale Frage. Die Interaktionen zwischen diesem transnationalen Feld der Sozialpolitik und den sozialstaatlichen Einrichtungen auf nationaler Ebene waren vielschichtig und folgenreich. Die Frage, in welcher Form und durch welche Mechanismen transnationale Netzwerke auf einzelstaatliche Sozialgesetzgebungen einwirkten, steht im Mittelpunkt des folgenden Beitrags. Wissenschaftliche Expertise spielte für diesen Prozess eine zentrale Rolle. Akademisches Fachwissen bildete nämlich für die frühen, politisch kontroversen Sozialstaatsdebatten oft eine entscheidende Ressource zur Konsensbildung, sowohl in nationalstaatlichen Einrichtungen als auch in internationalen Netzwerken und Organisationen. 1 Als Fallbeispiel steht die Staublunge (oder Silikose) im Vordergrund, die schwerwiegendste Berufskrankheit im 20. Jahrhundert und damit ein zentrales Objekt sozialstaatlicher Unfallversicherungen. Der Aufsatz untersucht die Anerkennung der Staublunge als versicherte Berufskrankheit im Rahmen der staatlichen Unfallversicherung der Schweiz und Deutschlands. 2 Deutschland und die Schweiz sind für die europäische Geschichte der Gesundheits-und Sozialpolitik aufschlussreiche Fallbeispiele. Die frühe Einführung der Sozialversicherungen in den 1880er Jahren, insbesondere jene der Unfallversicherung (1884), machte das Deutsche Kaiserreich und insgesamt den deutschsprachigen Raum zu einem Zentrum der arbeits-und unfallmedizinischen Forschung Europas. Der Einschluss der Berufskrankheiten in den Entschädigungsbereich der sozialstaatlichen Unfallversicherungen folgte in der Zwischenkriegszeit: in der Schweiz sofort 197