Kein Einzelfall

Abstract

Im Sommer 2019 wird Adel B. im Essener Stadtteil Altendorf bei einem Polizeieinsatz erschossen. Zuvor hatte er angekündigt, sich selbst töten zu wollen. In der Presse wird er als „Deutscher mit algerischen Wurzeln“ beschrieben. Sein Wohnort Altendorf gilt als problematisches und gefährliches Viertel und wird entsprechend polizeilich bearbeitet. Polizei und Stadtpolitik in Essen bagatellisieren die Erschießung als Einzelfall, polizeiinterne Ermittlungen gegen einen Polizisten erkennen Nothilfe. Angehörige, Nachbar*innen und Aktivist*innen dagegen organisieren Proteste und fordern „Gerechtigkeit für Adel“. Wir argumentieren, dass sich in der Erschießung des Bewohners eines ‚Problemquartiers‘, eines Mannes mit zugeschriebenem Migrationshintergrund, der sich in einer psychischen Notsituation befand, verschiedene polizeiliche Selektivitäten auf fatale Weise verbinden. Basierend auf eigenen qualitativen Forschungen in Altendorf rekonstruieren wir, wie sich hier alltägliche und institutionalisierte Rassismen zu einem spezifischen sozialen Klima verdichten. Wir beleuchten, wie in dieser lokalen Konstellation rassistische Polizeipraktiken verleugnet werden. Gleichzeitig plädieren wir dafür, dass kritische Stadtforschung an der Dokumentation, Sichtbarmachung und Kritik rassistischer Polizeigewalt aktiv mitarbeiten sollte, um die öffentliche Anerkennung der Existenz institutionalisierter polizeilicher Rassismen zu stärken und dadurch daran mitzuwirken, die Artikulationsräume für Betroffene zu verbreitern.

Gewalt im Amt

“…Seitdem kann er nicht mehr richtig laufen, weil die sich so spiral gebrochen haben […].« (Betroffenenberatung/A2.3: 32) Solche Formen verräumlichten Polizeihandelns (Abdul-Rahman, Espín Grau, Klaus & Singelnstein, 2020, S. 36 f.;vgl. auch Hunold, 2015;Keitzel & Belina, 2022;Rinn et al, 2020) Aus solchen Erfahrungen können sich bei Betroffenen spezifische Vermeidungstaktikten im Umgang mit der Polizei entwickeln (Louw et al, 2016;Thompson, 2018), wie ein*e Interviewpartner*in aus der Zivilgesellschaft, der*die selbst von Rassismus betroffen ist, eindrücklich beschrieb: »Ich habe Kinder und habe die alle so mehr oder weniger dahingehend -nicht erzogen, aber gesagt: ›Okay, passt mal auf Leute, bestimmte Sachen/ Ihr solltet immer einen Pass dabeihaben, Personalausweis, obwohl ihr das nicht müsst. Das ist zwar nicht erforderlich, aber es ist besser ihr habt das Ding dabei, bevor ihr auf der Wache landet.…”

“…Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass Polizeibeamt*innen (auch) mit Personen aus marginalisierten Gruppen problematische, bedrohliche oder gefährliche Situationen erleben, auf die sie reagieren müssen. Ein generalisierendes Erfahrungswissen, welches Personen oder Gruppen pauschal negative Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber der Polizei zuschreibt, führt in der Praxis jedoch dazu, dass rassifizierte Personen per se als gefährlicher oder verdächtiger wahrgenommen werden (Banita, 2022;Behr, 2019b;Keitzel & Belina, 2022;Rinn et al, 2020). Dies ist zum einen aus Gründen der Gleichbehandlung und zum anderen auch im Hinblick auf Deeskalationsmöglichkeiten problematisch.…”