Unumstritten befindet sich die EU gegenwärtig in einer krisenhaften Lage. Paradoxerweise scheint genau das Projekt, das sowohl formell (durch die Konventsmethode) als auch substanziell (durch die Etablierung einer größeren Transparenz und Effizienz der institutionellen Architektur und Entscheidungsverfahren) zu einer belastbareren demokratischen Legitimation der EU beitragen sollte, diese in eine »Verfassungsfalle« geführt zu haben. Der Beitrag des Verfassungsvertrages zu einer Stärkung der Legitimation europäischer Entscheidungen scheint nur schwer an die Unionsbürger vermittelbar, da er sich in der Gestalt eines komplexen Verhandlungspaketes präsentiert. Ohne Akzeptanz und Umsetzung des Vertrages wird sich aber auch weiterhin keine demokratischere politische Ordnung in Europa entwickeln können (Wessels 2005a: 34).Zu prüfen wäre jedoch, ob sich die EU gegenwärtig in ihrer größten und folgenreichsten Krise seit der Gründung der Montanunion 1951 befindet. Grundsätzlich stellt sich hierbei die Frage, wie sich der Begriff der »Krise« für den europapolitischen Kontext definieren lässt. Die Finanzkrise der Union erscheint dabei als eine »kleinere«, substanzielle Krise auf Brüsseler Ebene, vergleichbar z. B. mit der letzten Runde der Verhandlungen zur Agenda 2000 im Jahr 1999. Derartige »kleine« Krisen in der policy-und der politics-Dimension sind dadurch gekennzeichnet, dass existierende oder vorgesehene institutionelle Arrangements zur Entscheidungsfindung und Problemlösung auf europäischer Ebene in einer konkreten Frage oder Problemstellung nicht ausreichen bzw. nicht in dem ursprünglich vorgesehenen zeitlichen Rahmen zu einer Problemlösung führen. Im Vergleich dazu erscheint die gegenwärtige Verfassungskrise als eine »größere«, konzeptionelle Krise der Union, vergleichbar mit dem Scheitern der Pläne für die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und einer Europäischen Politischen Gemeinschaft im Jahr 1954. 2 Derartige konzeptionelle Krisen lassen sich dann feststellen, wenn in Ratifizierungsverfahren auf nationaler Ebene (in Parlamenten oder Referenden) oder auf 1 Die in diesem Beitrag zusammenfassend dargestellten Argumente und Thesen basieren teilweise auf Forschungsarbeiten in dem von der EU im Rahmen des 6. Rahmenforschungsprogramms geförderten EU-Exzellenznetzwerkes EU-CONSENT, das am Jean Monnet Lehrstuhl von Wolfgang Wessels an der Universität zu Köln koordiniert wird (siehe www.eu-consent.net). 2 Vgl. für einen ersten Überblick über die zahlreichen und vielfältigen Krisen der europäischen Einigungsgeschichte die Beiträge in Kirt (2001).