I. Erleben des Schocks des rechten TerrorsDer Tag, an dem sich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) enttarnte und damit seine Mordserie an Migrant*innen 2011 zu Ende ging, war ein Meilenstein in der deutschen Erinnerungsgeschichte, so Aleida Assmann, eine Koryphäe für Erinnerungs-und Gedächtnisforschung. Denn die NSU-Morde stellten laut Assmann einen gesellschaftlichen Schock dar (vgl. Assmann 2020). Die Mehrheitsgesellschaft hat endlich verstanden, dass rechtsextreme Kreise seit Jahrzehnten gut vernetzt sind, sich rassistischer Raster bedienen und so ungestört zahlreiche Terroranschläge auf Migrant*innen und ihre Geschäfte inmitten der Gesellschaft verüben konnten. Menschen wurden ermordet, nur weil sie eine mit rassistischen Zuschreibungen und Affekten unterlegte Differenz verkörperten.Assmanns Datierung des sozialen Schocks erst im Kontext des NSU in den Nullerjahren ist etwas verwirrend. Genauer gesagt ist es ein lehrreiches Beispiel dafür, wie unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen soziale Ereignisse unterschiedlich wahrnehmen bzw. deuten. Für liberale Angehörige der Mehrheitsgesellschaft war die Aufdeckung der NSU-Mordserie zweifellos eine Erschütterung. Mit den rassistischen, antisemitischen und rechtsextremen Anschlägen in Halle (2019), Kassel (2019) und Hanau (2020) wurde die Gefahr von Rassismus und Rechtsterrorismus erneut bestätigt. Der Schock und die Bestürzung für rassifizierte soziale Gruppen waren aber auch schon lange vor dem NSU-Komplex schmerzhafte Alltagserfahrungen. Sie erlebten Trauma, Hilflosigkeit, Angst und Handlungsunfähigkeit auch schon früher.Assmann vertritt zudem die These, dass jedes Geschehen, um ein Ereignis zu werden, zunächst sprachlich verarbeitet und mit Sinn unterlegt werden muss. Auf diese Weise werden Ereignisse kollektiv gedeutet und durch Kommunikation zu einem Diskurs verwoben. Die NSU-Morde beispielsweise wurden zunächst durch eine rassistische Deutung der staatlichen Ermittlungsbehörden gerahmt, die dann