Zusammenfassung Die Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen (feM) bei Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen bzw. Demenz im Akutkrankenhaus ist noch immer von Aktualität. Dabei sind diese Zwangsmaßnahmen fachlich nicht nur umstritten, sondern auch vor dem Hintergrund einer Ethik, die sich dem Schutz der Menschenwürde verschrieben hat, in den seltensten Fällen moralisch gerechtfertigt. Die ethische Bewertung von feM erfolgt zumeist in klassischen medizinethischen Paradigmen wie der Prinzipienethik nach Beauchamp und Childress. Um die Debatte an dieser Stelle anzureichern, wird nach einer kurzen Darstellung der Problematik die ethische Kategorie der Leiblichkeit eingeführt. Dieses Phänomen, das seit einem „corporeal turn“ in den Wissenschaften mehr und mehr Aufmerksamkeit erhält, kann neue Perspektiven auf Würde, Freiheit und Freiheitsentzug eröffnen: Freiheitsentziehende Maßnahmen finden nicht in einem luftleeren Raum der Ideen Anwendung, sondern am konkreten psychophysischen Leib des Menschen. Damit sind feM Eingriffe in die leibliche Souveränität des Menschen und richten sich gegen seine leiblich manifestierte Freiheit. Der Begriff des Leibes, der hier Anwendung findet, bezeichnet mehr als nur den physischen „Körper“ und kann besonders gut die (inter)subjektive Komponente des Phänomens beschreiben, die hier zu berücksichtigen ist. Zu prüfen ist abschließend auch, inwiefern der Freiheitsentzug durch medikamentöse Ruhigstellung einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die menschliche Leiblichkeit darstellt. Ist die Kategorie der Leiblichkeit in die Debatte um feM eingeführt, können entscheidende neue Schwerpunktsetzungen vorgenommen werden.
ZusammenfassungIn diesem Kapitel soll das Phänomen der Anwendung von FeM bei Menschen mit Demenz in professionellen Sorgebeziehungen abgebildet werden. Dabei bedarf es zunächst einer terminologischen Einordnung und Reflexion des Gegenstandes (Abschn. 2.1), die zudem Klarheit darüber schafft, welche Handlungen konkret gemeint sind, wenn in dieser Arbeit die Rede von FeM ist. Mit der Art und Weise, wie FeM als spezielle Form von Gewalt Anwendung finden, befasst sich der darauffolgende Abschnitt (Abschn. 2.2). Sodann wird auf die verschiedenen Erscheinungsformen von FeM eingegangen (Abschn. 2.3), um in einem weiteren Schritt die empirischen Daten zur Prävalenz von FeM abzubilden. Dabei erfolgt dies aufgrund der Sachlage getrennt nach mechanischen Formen von FeM (Abschn. 2.4) und pharmakologischen Interventionen, mit denen eine Ruhigstellung der Betroffenen einhergehen kann (Abschn. 2.5). Mit den rechtlichen Rahmenbedingungen (Abschn. 2.6) sollen ausgewählte verfassungs-, zivil- und strafrechtliche Aspekte der Thematik skizziert werden, um aufzuzeigen, in welchem juristischen Rahmen sich Einschränkungen in die Fortbewegungsfreiheit in Deutschland wesentlich ereignen. Dabei wird bereits die besondere Relevanz verschiedener Begründungsansätze für die Anwendung von FeM bei Menschen mit Demenz anklingen, welchen der darauffolgende Abschnitt (Abschn. 2.7) gewidmet ist. Solche Begründungen sind jedoch, wie sich zeigen wird, auch stets von verschiedenen tieferliegenden Einflussfaktoren geprägt (Abschn. 2.8). Nach der Darstellung derselben erfolgt sodann eine kritische Analyse der möglichen Folgen von FeM (Abschn. 2.9). Das Kapitel 2 schließen eine Übersicht über verschiedene Interventionen zur Vermeidung von FeM (Abschn. 2.10) sowie ein Zwischenfazit (Abschn. 2.11) ab.
ZusammenfassungMenschen mit Demenz in professionellen Sorgebeziehungen stellen unter älteren Menschen wohl den Personenkreis dar, der am häufigsten Maßnahmen des wohltätigen Zwangs ausgesetzt ist. Ein kontrovers diskutiertes Beispiel solcher Handlungen stellt die Anwendung freiheitseinschränkender Maßnahmen (FeM) dar, die dabei nicht auf die stationäre Langzeitpflege beschränkt bleibt, sondern auch in der akutstationären und ambulanten Pflege weit verbreitete Praxis ist. FeM wie z. B. mechanische Fixierungen, aufgestellte Bettgitter oder ruhigstellende Medikamente, werden in der Regel zum Wohl des Betroffenen eingesetzt, bspw. um einem Sturzereignis vorzubeugen oder zu verhindern, dass sich Personen durch die Entfernung medizinischer Vorrichtungen selbst verletzen. Zu diesem Zweck halten FeM den betroffenen Menschen von der freien körperlichen Bewegung oder dem Zugriff auf den eigenen Körper ab und greifen somit massiv in dessen Freiheit und leibliche Souveränität ein. Als kritische Darstellung und ethisch-fachliche Reflexion des Phänomens beabsichtigt die vorliegende Untersuchung, der Frage nachzugehen, welche grundlegenden ethischen Prinzipien bei der Anwendung von FeM bei Menschen mit Demenz in professionellen Sorgebeziehungen berührt werden. Dieses Kapitel leitet in den Gegenstand und die Fragestellung der Arbeit ein (Abschn. 1.1) und skizziert zentrale Forschungsdiskurse sowie den theoretischen Rahmen der Arbeit (Abschn. 1.2).
ZusammenfassungIn diesem Kapitel sollen übergeordnete Grundlagen analysiert und diskutiert werden, die die Voraussetzungen einer ethisch sowie fachlich fundierten Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz bilden. Dabei bildet die Anerkennung der Personalität von Menschen mit Demenz (Abschn. 3.1) den Ausgangspunkt jeder abgeleiteten ethischen Forderung. Die Anerkennung der Personalität sollte dabei jedoch stets von einer Anerkennung der Vulnerabilität des Menschen mit Demenz begleitet sein, die sich bei genauerem Hinsehen als Versichtbarung der prinzipiellen Vulnerabilität aller Menschen erweist (Absch. 3.2). Auch wenn diesen Grundlagen zunächst eine gewisse Abstraktheit zu eignen scheint, wird es im Verlauf dieses Kapitels stets auch darum gehen, die gewonnenen Erkenntnisse auf die Problematik von FeM anzuwenden, um deren unmittelbare Relevanz für die vorliegende Thematik aufzuzeigen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Konzeption der Leiblichkeit zu, da diese jeweils hilft, die konkrete phänomenale Erfahrbarkeit von Personalität und Vulnerabilität aufzuweisen. Auch soll am Ende dieser beiden Abschnitte jeweils die Frage thematisiert werden, wie sich die ethischen Implikationen des Personalitäts- bzw. des Vulnerabilitätskonzeptes mithilfe pflegetheoretischer Ansätze in die pflegerische Praxis übersetzen lassen. Das Kapitel schließt mit einem Zwischenfazit (Abschn. 3.3).
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