Eine zentrale sportpolitische Frage im deutschen Profifußball ergibt sich aus der Diskussion um die Aufhebung der 50+1-Regel: Sollten professionelle Fußballklubs in Deutschland weiterhin von Vereinen oder von Investoren_innen kontrolliert werden? Vor dem Hintergrund des Stakeholder-Ansatzes erscheinen die bisherigen Untersuchungen der Perspektiven von Fußballklubs und Fußballfans von besonderer Bedeutung. Unberücksichtigt blieben bislang die Investoren_innen als Stakeholder-Gruppe. Aufgrund der Begrenzung ihres Einflusses durch die Regel, der damit einhergehenden unmittelbaren Betroffenheit sowie der zunehmenden Bedeutung von Investoren_innen im deutschen Profifußball werden erstmalig die Perspektiven von Investoren_in-nen zur 50+1-Regel und deren Zukunft aufgezeigt. Basierend auf den empirischen Ergebnissen werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Perspektiven zwischen Fußballklubs, Fußballfans und Investoren_innen aufgedeckt. Sie bilden eine Diskussionsgrundlage, um eine zukünftige Entscheidung hinsichtlich einer Beibehaltung oder Aufhebung stakeholderorienwtiert beurteilen zu können.
Zusammenfassung
Die 50+1-Regel soll im deutschen Profifußball den beherrschenden Einfluss eines Muttervereins über eine Profifußballabteilung gewährleisten, wodurch historisch geprägte Mitbestimmungsmöglichkeiten von Vereinsmitgliedern bzw. Fans bewahrt werden. Die anhaltende Diskussion um die Zukunft der Regel gibt unter Beachtung des Stakeholder-Ansatzes Grund zum Anlass, die Interessen von Fußballfans zu fokussieren. Erstmalig wurden dazu in den Jahren 2011 (n=3114) und 2017 (n=3739) die Argumente für eine Beibehaltung, die Argumente für eine Aufhebung sowie die Präferenz hinsichtlich der Zukunft der 50+1-Regel empirisch erhoben. Die Ergebnisse zeigen eine zeitunabhängige Befürwortung der Beibehaltung der Regel, wobei ergänzend (a) eine anhaltende Befürwortung partizipativer Argumente für eine Beibehaltung, (b) die zunehmende Befürwortung des Ausschlusses von Multi-Club Ownership durch die 50+1-Regel sowie (c) der Rückgang gesellschaftlicher und von Tradition geprägter Argumente für eine Beibehaltung hervorzuheben sind.
Im Zuge der stetig voranschreitenden Kommerzialisierung des Profifußballs ergibt sich folgende zentrale Frage: Beeinträchtigt die (Über-)Kommerzialisierung des Fußballs die von Fans wahrgenommene Gerechtigkeit und begünstigt damit einen Exit von Fußballfans? Entsprechend der Exit-Voice-Theorie von Hirschman wählen Fußballfans aufgrund ihrer Loyalität zum Klub in der Regel die sogenannte Voice-Option (beispielsweise in Form der Mitbestimmung). Nicht-loyale Kunden_innen, beispielsweise von Unternehmen, ergreifen hingegen eher die Exit- Option. Vor diesem Hintergrund wurde ein Exit von Fußballfans in der Literatur bislang vernachlässigt. Es liegen jedoch wesentliche Indizien vor, dass die Schließung dieser Forschungslücke für Wissenschaft und Praxis in Zukunft von hoher Bedeutung sein wird. Um ein besseres Verständnis für das neuartige Phänomen sowie eine Grundlage zukünftiger Forschungen zu schaffen, erarbeitet der vorliegende Beitrag – basierend auf der Tauschgerechtigkeit, der Leistungsgerechtigkeit sowie der sozialen Gerechtigkeit – systematisch die Gründe für einen Exit. Um die gesellschaftliche und ökonomische Relevanz der Thematik zu verdeutlichen, werden ebenfalls potenzielle Folgeprobleme dargestellt.
Im Rahmen der zunehmenden Kommerzialisierung des deutschen Profifußballs lassen sich bei Mitgliedern der Vereine teilweise Indizien einer Unzufriedenheit erkennen. Bei Unzufriedenheit präferieren Vereinsmitglieder – insbesondere aufgrund der emotionalen Bindung und der damit verbundenen Loyalität zum Verein – die Ausübung ihrer Mitbestimmungsrechte (Voice-Option), während nicht-loyale „Kund:innen“ eher die Exit-Option ergreifen. In diesem Zusammenhang lässt sich beispielhaft die Mitgliederversammlung des FC Bayern München e.V. im November 2021 anführen. Aufgrund der Unzufriedenheit mit dem Sponsor Qatar Airways hatte ein Mitglied versucht, über den diesbezüglichen Sponsoring-Vertrag abstimmen zu lassen. Der entsprechende Antrag wurde mit Verweis auf die Vereinssatzung abgelehnt, wobei sich folgende grundsätzliche Frage ergibt: Welche institutionalisierten Möglichkeiten der Mitbestimmung existieren für Mitglieder im deutschen Profifußball? Durch die Sammlung und Auswertung von 135 Satzungen von den Vereinen der ersten vier deutschen Fußballligen wird erstmals eine systematisch basierte Übersicht von Mitbestimmungsmöglichkeiten generiert, aus denen sich acht Kategorien und 65 Indikatoren der Mitgliederpartizipation ergeben.
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