Im Vergleich zu Griechenland und anderen Staaten, die sich ebenfalls im Strudel von Schuldenkrise, Anti-Kürzungsbewegungen und Troika-Intervention befinden, wird Portugal aktuell als Musterbeispiel gefeiert. Wirtschaftlich scheint es bergauf zu gehen. Die Massenproteste gegen Prekarisierung, Entlassungen und Sozialkürzungen sind abgeflaut. Die Mitte-Links-Minderheitsregierung unter António Costa und dem Partido Socialismo (PS) navigiert aktuell scheinbar problemlos zwischen Zivilgesellschaft und Finanzmärkten. Vor vier Jahren stand das Land noch am Rande einer Staatskrise. Die damalige Regierung aus dem neoliberalen Partido Social Democrata (PSD) und dem konservativ-rechten Centro Democrático e Partido Popular (CSD-PP) sah sich in der Verantwortung, die Vorgaben der Troika aus dem Memorandum of Understanding (MoU) minutiös umzusetzen und gar zu überbieten. Seit 2010 und spätestens mit der Bewegung der prekären Jugend Geração à Rasca (Generation am Abgrund) im März 2011 entwickelten sich unterschiedliche Protestbewegungen. Diese mündeten 2013 in einer Allianz zwischen Netzwerken sozialer Bewegungen und Gewerkschaften und führten sowohl zu Generalstreiks als auch zu mehreren Massendemonstrationen, an denen sich auf ihrem Höhepunkt im März 2013 über eine Million Menschen in dutzenden Städten Portugals beteiligten. Gleichzeitig spielte auch das Verfassungsgericht des Landes eine wichtige Rolle: Seit 2012 begannen die sechs männlichen und sieben weiblichen Richter*innen unterschiedliche Erlasse der Regierung, die sich an dem MoU orientierten, für verfassungswidrig zu erklären. 2 Im Gegensatz zu Griechenland und Italien muss sich die portugiesische Rechtsprechung nicht an der Ausgeglichenheit des Haushalts orientieren. In der Folge konnte die damalige portugiesische Regierung die Auflagen der Troika nicht umsetzen. Nach einem Generalstreik im Juni 2013 trat der Finanzminister zurück, weitere Regierungs-1 Dieser Text ist eine überarbeitete Version des in der Direito&Práxis Revista 8 (1), 670-710 erschienenen Artikels der Verfasserin mit dem Titel 'Judicial Crisis in Portugal: The Constitution in relation to the State, Social and Labor Movements/Crise judiciária em Portugal: a Constituição em relação ao Estado e aos movimentos sociais e trabalhistas'. Ich danke insbesondere Madelaine Moore, Carolina Vestena und Norma Tiedemann für die intensiven Diskussionen, die in die Überarbeitung dieses Artikels eingeflossen sind. Für zahlreiche Hinweise und Anregungen danke ich Nora Markard und Sonja Buckel. 2 Einen ausführlichen Überblick über die Gesetzeslage bieten Oskar von Homeyer/Steffen Kommer,
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