Die Aktenkunde ist in der Krise. De facto ist sie eine Geheimwissenschaft der Archivarinnen und Archivare. Es praktizieren sie in der einen oder anderen Weise zwar alle, die im Archiv arbeiten; ein Beispiel geben Quelleneditionen 1 . Aber diese Forscherinnen und Forscher tun es situativ und wissen oft nicht, dass sie sich mit einer speziellen Hilfswissenschaft behelfen könnten. Die Archivare haben ihrerseits kaum noch die Zeit für Aufgaben, die aktenkundliche Expertise erfordern würden. Und wenn doch, reicht zur Bewältigung kleiner Alltäglichkeiten, etwa der Zuweisung eines Farbstifts 2 , aus der Archivarsausbildung behaltenes Grundwissen. Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur ist kaum nötig -warum auch? Der Kern des Problems ist, dass die Aktenkunde für den größten Teil des Archivguts, die Akten des 20. Jahrhunderts, des ausgehenden Papierzeitalters, wenig anzubieten hat. Heinrich Otto Meisner hat noch selbst festgestellt, dass seine stilistische Typologie der Aktenstücke auf diese Überlieferung nicht mehr anwendbar ist 3 . Füllen konnte er die Lücke nicht mehr.Kann das vertrocknende Pflänzchen der Aktenkunde noch aufgepäppelt werden oder sollte man es ausreißen und mit archivwissenschaftlichem Samen neu pflanzen? In der jüngst erschienenen Veröffentlichung 4 aus dem "Arbeitskreis Aktenkunde des 20. und 21. Jahrhunderts" des Verbands deutscher Archivarinnen und Archivare e. V. 5 wurde beiden Positionen Gehör geschenkt, ohne sie zu gewichten. Das Defizit wurde damit noch nicht beseitigt, aber von gefühltem Unbehagen hoffentlich auf die Stufe umrissener Probleme angehoben.Das Folgende ist ein Plädoyer für die evolutionäre Fortentwicklung des Fachs. Am Anfang muss eine Aufgabenkritik stehen, die Zweck und methodische Aktualität der Aktenkunde aus der Perspektive der Anwenderinnen und Anwender beurteilt. Diese sind