Stammlers Versuch, den Begriff des Rechts durch die Bedingungen des Rechtsdenkens zu bestimmen, verdient insoweit unser Interesse, als er die notwendigen Eigenschaften des Rechts nicht dem objektiven Recht, sondern den intersubjektiven Beziehungen zu entnehmen versucht. Daraus ergibt sich: Einvernehmliches Verhalten und der Schutz vor willkürlicher Gewalt sind Bedingungen jeder Rechtsordnung. Denn die Verbindlichkeit von Verträgen und der Ausgleich von Verletzungen können nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Begriff des Rechts entfällt. Johann Gottlieb Fichte hat, vom Subjekt ausgehend, diesen Rechtsbegriff systematisch entwickelt. Rechtsethnologie und Rechtsgeschichte vermögen ihn empirisch zu stützen.
I. Der Rechtspositivismus und das Problem staatlichen UnrechtsDas Rechtsdenken der Gegenwart ist durch eine doppelte Erfahrung geprägt. Einmal durch die Tatsache einer inhaltlichen Beliebigkeit des Rechts, weil sich in einer modernen Gesellschaft die Gegensätzlichkeit der Interessen und die tiefgreifende Unterschiedlichkeit sozialethischer Überzeugungen naturgemäß auch in einer Gesetzgebung niederschlägt, die interessenbedingt oder auch aus moralischen Gründen nicht immer von allen Bürgern akzeptiert werden kann. Recht und Moral sind zu unterscheiden und ein etwaiger Widerspruch gegen dieses Prinzip unseres Rechtsverständnisses muss spätestens dann verstummen, wenn wir einen Blick auf das Recht anderer Kulturkreise oder auch früherer Zeiten mit uns fremden ethischen Maximen werfen. Nichts berechtigt uns, solchen fremden Rechtsordnungen mit ihren spezifischen Steuerungsfunktionen pauschal den Rechtscharakter abzusprechen. Recht ist nun einmal relativ, also inhaltlich abhängig von seinen sozialen, kulturellen und politischen Bedingungenso die eine Erfahrung, die zum modernen Rechtspositivismus geführt hat, auf den die Rechtswissenschaft schon aus methodischen Gründen nicht verzichten kann. Die andere Erfahrung lautet: Es gab und gibt Verbrechen, für die Staaten verantwortlich sind, also staatliches Unrecht, weshalb es Schwierigkeiten bereitet, jeden von einer staatlichen Autorität gesetzten Hoheitsakt als "Recht" zu bezeichnen. Damit aber liegt die Schlussfolgerung nahe, dass auch nicht jede von einer staatlichen Autorität erlassene Norm "Recht" sein muß, weil schon die Unterscheidung beider -Einzelfallregelung und Normschwierig sein kann und als Kriterium für Recht und Unrecht keinesfalls überzeugt. In solchen Fällen staatlichen Unrechts aber möchte man bei der Position des Rechtspositivismus nicht stehenbleiben, sondern lieber die Menschenrechte oder gar die Idee des Naturrechts bemühen. Moderne Darstellungen der Rechtsphilosophie sind sich weitgehend darin einig, dass dieses Dilemma nicht logisch, sondern nur dialogisch aufzulösen istim Diskurs über Rechtsethik, Gerechtigkeit, soziale Verantwortung. 1 Die Suche nach einem geradliniger zu begehenden "dritten Weg" zwischen Rechtspositivismus und Naturrecht scheint mühsam und ohne den Kompass der logisch unbefriedigenden "Radbruch'schen Formel" nicht erfolgvers...