„Wann kommt der Retter Deutschlands?” Formen und Funktionen von politischem Messianismus in der Weimarer Republik

Abstract

Sprache macht offenkundig, auf welchen Wertvorstellungen die politische Handlungsfähigkeit und der soziale Zusammenhalt eines Gemeinwesens beruht. Neue Wortbildungen und Begriffe bringen zum Vorschein, was sich im politischen Denken einer Gesellschaft verändert. Sprache wirkt zugleich als Kraft, die politisch-soziale Veränderungen in Gang und voranbringt. Der Gebrauch messianischer Begriffe in der politischen und kulturellen Öffentlichkeit der Weimarer Republik verweist deshalb zum einen auf den Wandel politischer Einstellungen, in denen sich eine zunehmende Entfremdung gegenüber Werten und Institutionen des freiheitlichen Rechts-und Verfassungsstaates abzeichnet; zum anderen diente dieselbe messianische Begrifflichkeit als Motor, um jenen Prozeß zu beschleunigen, der die parlamentarische Demokratie durch einen autoritären Führerstaat ablösen sollte.Wie sich in messianisch aufgeladenen Sprachformen antidemokratische Mentalitäten artikulierten, hat Robert Musil in seinem Roman .Der Mann ohne Eigenschaften' konzis und anschaulich beschrieben. Die Rolle des hellwachen Sprach-und Zeitkritikers spielt in dieser Fragment gebliebenen Erzählung General Stumm von Bordwehr, der mit Skepsis die zunehmende "Beliebtheit der Wortgruppe Erlösung" beobachtet'. Allenthalben -in der Politik, in Kirchen und Kaffeehäusern, in Kunstzeitschriften und Büchern -sei die Rede von "Erlösen", "Erlöser" und "Erlösung". In diesem neuartigen Wortfeld drücke sich das "Erlösungsbedürfnis" einer verunsicherten Nation aus, die glaube, "eine recht messianische Zeit" zu durchleben, und deshalb der Erlösung durch einen Retter bedürfet Die "sogenannten intellektuellen Menschen" seien davon überzeugt, "daß es nicht mehr weitergehe, wenn nicht bald ein Messias komme. Das war je nachdem ein Messias der Medizin, der die Heilkunde von ' Roben Musil, Der Mann ohne Eigenschaften. Roman, hrsg. von Adolf Frise, Hamburg 1952, S. 519. Musils Roman beschreibt ein einziges Jahr der sterbenden Donaumonarchie und ihrer kranken Gesellschaft; die Wende von 1913 auf 1914. Gleichwohl: Im Medium der Geschichte beschreibt Musil Erfahrungen seiner eigenen Zeit. Die ersten beiden Bände seines Romans verfaßte Musil von 1930 bis 1932. Aus dieser Zeit stammen die im Text erwähnten Zitate. -Für kritische Lektüre des Manuskripts und Hinweise auf weiterführende Quellen und Literatur bin ich Werner Freitag, Manfred Hettling, Matthias Lentz, Friederike Neumann und Hans-Ulrich Wehler zu Dank verpflichtet. ^ Ebd. S. 518-520. den gelehrten Untersuchungen erlösen sollte, während deren die Menschen ohne Hilfe krank werden und sterben; oder ein Messias der Dichtung, der imstande sein sollte, ein Drama zu schreiben, das Millionen Menschen in die Theater reißen und dabei von voraussetzungslosester geistiger Hoheit sein sollte; und außer dieser Überzeugung, daß eigentlich jede einzelne menschliche Tätigkeit nur durch einen besonderen Messias sich selbst wieder zurückgegeben werden körme, gab es natürlich auch noch das einfache und in jeder Weise unzerfaserte Verlangen nach einem Messias de...

Sacred Torrents in Modernity: German Jewish Philosophers and the Legacy of Secularization

“…28 In the quest to further the ongoing process toward emancipation, elements of Jewish messianism initially merged with the eschatological hopes of many German intellectuals who had begun to identify Prussia as the most progressive state. 29 Leopold Zunz regarded the year 1820 as another fundamental turning point in Jewish history: "Israel has eight epochs, each of 450 years past totaling 3600 years. These are marked by Deborah, Elisha, Nehemiah, the Mishna, the Gemara, and the years 1370 and 1820."…”

Anticipating the Future in the Present: “New Women” and Other Beings of the Future in Weimar Germany

“…42 The idea of the "Führer," which is often closely linked to National Socialism and the extreme right, pervaded the whole political spectrum in Weimar Germany. 43 The concept of the "Führer" was still politically uncontaminated and used in an allegedly neutral way-just as the American notion of "leadership" today. Not only right-wing journals, such as Die Tat and Die Deutsche Rundschau, but also the liberal Neue Rundschau and the leftist Die Weltbühne described the German predicament as a "crisis of leadership."…”