Von molekularen Mustern zur Morphogenese — die Lehren aus Untersuchungen mit der Fruchtfliege Drosophila (Nobel‐Vortrag)

Abstract

zur Morphogenesedie Lehren aus Untersuchungen mit der Fruc htfliege Drosop hila (No bel-Vortr ag) * * Eric Wieschaus"Wahrend der Entwicklung sind die Zellen eines Embryos vor zwei Hauptaufgaben gestellt. Erstens miissen sie programmiert werden, spezielle Korperteile zu bilden, und zweitens miissen sie diese Vorgdben umsetzen, indem sie ihre Form, Position und Muster der Genexpression andern. Beides, die Festlegung der Zellanlagen und die damit verbundenen Veranderungen der Zellform, vollzieht sich fortschreitend im Laufe der Entwicklung. Der Organismus, der aus diesem EntwicklungsprozeB resultiert, enthalt eine Vielzahl unterschiedlicher Zelltypen und -funktionen, die in einer komplexen raumlichen Struktur angeordnet sind. In der Fruchtfliege Drosophilu ist die embryonale Entwicklung bereits 20 Stunden nach der Befruchtung abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt hat sich bereits eine Larve mit etwa 40000 Zellen gebildet. Das augenscheinlichste Merkmal einer solchen Larve ist das in Segmenten sich wiederholende Muster von Harchen und Zahnchen, die von der ddrunterliegenden Epidermis abgesondert werden. Unter diesen hyperdermalen Zellen sind eine Reihe von Muskeln in einem sich ebenfalls segmentweise wiederholenden Muster angeordnet. Im Korper der Larve gibt es weitere mesodermale Gewebe sowie ebenso komplexe Strukturen und Organe endodermalen Ursprungs. Indem nun die Entwicklung der individuellen Zellen genau verfolgt wurde, wares moglich, die Ausgangspunkte der einzelnen Teile der differenzierten Larve bis zu den friihesten zellularen Stadien im Embryo zuriickzuverfolgen['. 'I. Der Drosophilu-Embryo ist in diesem Stadium (dem Blastoderm) etwa einen halben Millimeter lang, wobei etwa 100 Zellen entlang der kiinftigen anterior-posterioren Achse und 40 Zellen entlang der dorsal-ventralen Achse angeordnet sind. Die Epidermis wird aus Zellen auf der lateralen Seite des Embryos gebildet, die Muskeln sowie andere mesodermalen Auswiichse gehen aus einem Streifen auf der ventralen Seite des Blastoderms und die endodermalen Zellen aus zwei Gruppen von Vorlauferzellen am anterioren und posterioren Ende des Embryos hervor.Im Blastodermstadium haben alle Zellen die gleiche GroIJe und Form. Einige Minuten spater, zu Beginn der Gastrulation, losen die mesodermalen Vorlauferzellen eine Veranderung der Zellform aus, wodurch sie in das Innere des Embryos gelan-Als Christiane Niisslein-Volhard und ich unsere Mutagenese-Experimente begannen, beschsftigte uns sowohl die Frage nach den Zellanlagen als auch die nach der Zellform. In den 70er Jahren, -zu der Zeit, in der wir unsere Dissertationen in Basel bzw. Tubingen beendetenwar bereits klar, daB die embryonale Entwicklung, wie alle Prozesse in lebenden Zellen, von Genen und Genprodukten abhangt. Es war nicht nur bereits die