Ursula Liebertz-Grün, Das andere Mittelalter. Erzählte Geschichte und Geschichtserkenntnis um 1300. Studien zu Ottokar von Steiermark, Jans Enikel, Seifried Helbling.

Abstract

151Es ist ein besonderes Verdienst dieser Arbeit, daß sie den Modifikationen des Motivbereichs auch auf diesem, im Zusammenhang mit dem Minnesang im allgemeinen weniger beachteten Gebiet nachgeht und so bestimmte Traditionslinien sichtbar macht. Katharina Wallmann weist zwar darauf hin, daß die vorherrschende Bedeutung, die Satz und Weise im Lied erlangen, das Interesse am Text zurückdrängt, und sie stellt einen Bedeutungsverlust und formelhaftes Erstarren des ,,minnebedingten Schweigens" fest, aber es gibt nach ihren Beobachtungen auch Neuerungen wie die "Namensverschweigung" im Spiel mit Namen und das Hervortreten der "braunen Farbe der Verschwiegenheit", das sie als Zeichen der Veräußerlichung wertet. Überdies werden Interdependenzen zwischen dem Wandel der Motive und der veränderten Gebrauchssituation des Lieds gerade in diesem Kapitel besonders plausibel.Bedeutungsverlust und formelhaftes Erstarren kennzeichnen das "minnebedingte Schweigen" auch in den Minnereden, denen das letzte Kapitel gilt. Gleichwohl sind Modifikationen umfangreicher und auffallender als im Lied. Ausgangspunkt der Analyse bilden Liebesbriefe des 13. bis 15. Jahrhunderts, im Zentrum stehen Minnereden des 14. und 15. Jahrhunderts, ein Ausblick auf das ,,Ende" des ,,minnebedingten Schweigens" (in parodistischen Minnereden, bei Hans Sachs, in Sammelhandschriften des 15. Jahrhunderts) beschließt das Kapitel. Der Wandel des Spektrumsdarunter: das Gebot, sich genossener Liebe nicht zu rühmen, in der Minnelehre des Johann von Konstanz; die Verschwiegenheit in allegorischen Darstellungen wie der Minneburg und Hadamars Jagd (mit besonders gelungenen Interpretationen); die Minnefeinde (jetzt klaffer}\ das Schweigen in Regelkatalogen, die aus der Andreas Capellanus-Rezeption hervorgehen -wird hier ebenso deutlich wie der (vergebliche) Versuch der Autoren dieser Texte, Vergangenes zu bewahren.Insgesamt wird die Evidenz der vielfältigen Feststellungen und Ergebnisse in dieser Arbeit durch die Unscharfe im Begriff des "minnebedingten Schweigens" sowie die unbestimmte Beziehung unter den beobachteten Phänomenen zwar beeinträchtigt, aber die materialreiche Darstellung vermag dennoch Kontinuität, Wandel und Neuerung in einem vielschichtigen Motivbereich aufzuzeigen. Bei der Komplexität und dem Umfang der Materie ist es zudem eine beachtliche Leistung, wie es Katharina Wallmann in ihrer kenntnisreichen Untersuchunge gelingt, Zusammenhänge zwischen Veränderungen einzelner Elemente und den sich wandelnden Voraussetzungen von Produktion und Rezeption der Gedichte zu erhellen. Ursula Liebertz-Grün, Das andere Mittelalter. Erzählte Geschichte und Geschichtserkenntnis um 1300. Studien zu Ottokar von Steiermark, Jans Enikel, Seifried Helbling. (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 5) Fink, München 1984. 234 S., DM 48,-. Die Verfasserin, eine Schülerin Joachim Bumkes, faßt hier bereits früher Gesagtes 1 zusammen und fügt ergänzend ein (neues) Kapitel über Ottokar von Steiermark hinzu. Das gesamte Konvolut wurde 1981 von der Philosophischen F...