Zusammenfassung Der Beitrag attestiert den gegenwärtig viel diskutierten Theorien radikaler Demokratie eine erziehungstheoretische Leerstelle. Wie in Auseinandersetzung mit Chantal Mouffe und Jacques Rancière gezeigt werden soll, gründet diese Nichtthematisierung in erster Linie in der theoriearchitektonischen Zentralstellung einer als absolut postulierten Kontingenzannahme. Infolgedessen sind radikaldemokratische Theorien entweder gezwungen, Fragen der Erziehung unbeachtet bzw. dem Zufall zu (über)lassen, oder aber eine radikaldemokratische Bildung zu propagieren, die ihrem Anspruch auf Abbildung von Grundlosigkeit nicht gerecht werden kann. Ausgehend von dieser dilemmatischen Konstellation werden abschließend einige Gedanken skizziert, wie dennoch eine zumindest radikaldemokratisch inspirierte Antwort auf diese Problemstellung aussehen könnte.
AbstractThe article attests to the currently much-discussed theories of radical democracy that there is a gap in educational theory. As will be shown in a discussion with Chantal Mouffe and Jacques Rancière, this non-thematization is primarily based on the central position in terms of architectural theory of an assumption of contingency postulated as absolute. As a result, radical democratic theories are either forced to ignore issues of education or leave them to chance, or to propagate a radical democratic education that cannot satisfy its claim to represent groundlessness. Based on this dilemmatic constellation, some thoughts will be sketched out as to what an answer to this problem might look like that is at least inspired by radical democracy. 1 Einleitung Theorien radikaler Demokratie wird nach wie vor ein reges Interesse zuteil, wovon zahlreiche, hier im Einzelnen gar nicht anzuführende Publikationen und nicht zuletzt ein im Sommer 2019 erschienenes, über 800-seitiges Handbuch Radikale Demokratietheorie (Comtesse et al. 2019a) zeugen. 1 Dieses Interesse ist naturgemäß vor allem in der Politischen Theorie und Ideengeschichte zu verorten, aber auch in anderen politikwissenschaftlichen Subdisziplinen wie der Politischen Soziologie, der Bewegungsforschung, der Politischen Geografie, den Internationalen Beziehungen oder der Europaforschung fanden und finden radikaldemokratietheoretische Annahmen Eingang und Niederschlag. 2 Die affirmativen Indienst-und Bezugnahmen werden freilich auch von skeptischen bis unverhohlen ablehnenden Stimmen flankiert. Im Rahmen kritischer Auseinandersetzungen mit radikaldemokratischen Theorieangeboten finden sich nebst anderen immer wieder jene mitunter nicht unberechtigten 1 Frühere Versionen dieses Aufsatzes konnte ich im Kolloquium zur Politischen Theorie an der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie im Panel Die Entgrenzung der radikalen Demokratie auf dem Kongress der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft "Grenzen der Demokratie" in Frankfurt am Main vorstellen und diskutieren. Den TeilnehmerInnen und OrganisatorInnen, insbesondere Regina Kreide, Susanne Martin, Andreas Mix, Dagmar Comtesse, Oliver Flügel-Martinsen, Franziska Ma...