Die Untersuchungen der letzten beiden Kapitel haben ergeben, daß die Beziehungen zwischen politischer, ethnischer und religiöser Zugehörigkeit in der Antike vielfältiger waren als oft behauptet. Die Annahme, daß alle drei Größen in einer Volksreligionsgemeinschaft zusammenfallen, die Behauptung einer generellen rechtlichen Koppelung von Bürgerrecht und Kultteilnahme oder die Subsumierung aller Kulte unter "Polisreligion" werden der Wirklichkeit der antiken Gesellschaft nicht gerecht.Die antiken Menschen selbst haben diese Ausdifferenzierung bewußt wahrgenommen und auf theoretischer Ebene über sie reflektiert. Im folgenden sollen zwei Texte vorgestellt werden, in denen programmatisch zwischen religiöser und politischer Zugehörigkeit unterschieden und über ihre Vereinbarkeit nachgedacht wird. Es handelt sich um das Proömium zum zweiten Buch des Dialogs De legibus von M. Tullius Cicero und um Abschnitte aus Werken des Philon von Alexandreia (De vita Mosis, In Flaccum und Legatio ad Gaium). Die Lösungen, zu denen die beiden Autoren dabei gelangen, sind sich -bis in die Terminologie -ähnlich und laden zu einem Vergleich ein. Die Ähnlichkeit wurde in der früheren Forschung bereits bemerkt. Die Beiträge begnügen sich jedoch meist mit kurzen Hinweisen auf die Ähnlichkeit der Konzepte 1 oder beschränken sich auf die Frage nach gemeinsamen Quellen oder Traditionen 2 . Der einzige bisherige Versuch, das Modell Ciceros und das Philons systematisch zu vergleichen, 3 bie-1 KASHER, D'^BPW, 53; DERS., Jews in Hellenistic and Roman Egypt, 238. 2 Vermutlich handelt es sich vor allem um die Lehren des Antiochos von Askalon, also um einen in den Piatonismus (red-)integrierten Stoizismus; HORSLEY, Law, 36. Ähnlich auch MICHEL, Judaïsme, 220. Vgl. zu dieser Debatte, die ihren