Die seit der Wende intensiv betriebene Reflexion der Leistungen marxistischer Literaturwissenschaft hat in der Sorabistik bisher kaum stattgefunden. Kritik als Instrument des Erkenntnisgewinns galt schon vor der Einbindung der Sorabistik in den sozialistischen Wissenschaftsbetrieb der DDR eher als hinderlich; 1 die im Verständnis von J. Bart-Cisinski "national-praktische Wissenschaft" (CZS IX, S. 28) beschränkte sich allzu oft auf die Konservierung des mühsam zusammengetragenen Bestandes an Faktenwissen und verzichtete, teils mit Rücksicht auf den konstanten personellen Mangel, auf methodische Debatten zugunsten affirmativer Kommentierung sorbischen Literaturschaffens im Sinne einer "nationalen Identifikationswissenschaft" (Zeil 1996, S. 177). Nach 1949 wurde die wissenschaftliche Stützung der sorbischen "zentripetalen Kultur der inneren Konjunktion" (Koschmal 1995, S. 38) von der Kunst-und Wissenschaftskonzeption des Marxismus-Leninismus bestimmt; aus dieser sorbisch-sozialistischen Symbiose ging u. a. die vierbändige, bis heute als einziges umfassendes historisches Kompendium zur Verfügung stehende "Geschichte der Sorben" (1974)(1975)(1976)(1977)(1978)(1979) hervor. Vor allem in der Literaturwissenschaft, die, als ihr am wenigsten nutzbringender' Zweig, 2 seit jeher eine eher untergeordnete Stellung innerhalb der Sorabistik einnimmt, kam es erst ab den sechziger Jahren zu einer allmählichen Diversifizierung des Fachdiskurses, der zuvor über die wohlwollende Bestätigung der Leistungen sorbischer Literatur kaum hinausgekommen war. 3 Die wissenschaftlichen Texte der ersten Jahrhunderthälfte wurden, getreu dem Konzept der ,Konjunktion', mit unzureichender marxistischer Aufgeklärtheit entschuldigt und im übrigen unkritisiert weiterverwendet. Für eine kritische Überprüfung der bisherigen Positionen schien auch nach 1989 die Zeit zu knapp (und das Personal nicht ausreichend). 4 Im 1992 als Nachfolger des Instituts für Vgl. hierzu etwa den Verlauf der Angriffe des jungen J. Bart-CiSinski auf die fragwürdige Poetik der 1840er Generation im Jahre 1883 und die Reaktionen darauf (CZS X, S. 29-30). Vgl. Koschmal 1995, S. 34: "Typisch für die sorbische Wertaxiologie ist vor allem der durch Nutzen hervorgebrachte Wert." Dies fuhrt in der Kunst zur Dominanz der praktischen über die ästhetische Funktion; die Wissenschaft hingegen neigt zur Bevorzugung faktographischer gegenüber reflexiven Herangehensweisen. Die beachtlichen Forschungsergebnisse auf linguistischem Feld seien ausdrücklich ausgenommen; der hier geduldete "bescheidene Methodenpluralismus" (Ruzicka 1995, S. 8) ermöglichte u. a. die Morphologie des Obersorbischen von H. Faßke (1981) und den fünfzehnbändigen sorbischen Sprachatlas . Ähnliches gilt in der Literaturwissenschaft fur die zumeist sehr sorgfältig durchgeführten Quellenstudien und kritischen Texteditionen, etwa in der Reihe "Pomniki serbskeho pismowstwa" (1957)(1958)(1959)(1960)(1961)(1962)(1963). Hinzuweisen ist auf theoretische Überlegungen von M. Völkel und D. Scholze. Völkel warnte vor einem übereilten V...