Orientierung in der Corona-Krise? Nicht mit Doppelbotschaften

Abstract

Der folgende Beitrag analysiert Unstimmigkeiten in der Ad hoc-Empfehlung "Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise" des Deutschen Ethikrats und in den klinisch-ethischen Empfehlungen "Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall-und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie" der einschlägigen medizinischen Fachgesellschaften. Es wird gezeigt, dass die Orientierungsfunktion solcher Stellungnahmen leidet, wenn grundlagentheoretische Probleme, die innerhalb der Normwissenschaften kontrovers sind, in den Texten versteckt anstatt gezielt thematisiert werden. Um normative Orientierung in der Corona-Krise zu leisten, ist der Diskussionsstand in den beteiligten Disziplinen derzeit nicht ausreichend integriert.

Systemising triage: COVID-19 guidelines and their underlying theories of distributive justice

“…These questions are fascinating, but they exceed the sope of this paper. The rapid unfolding of the COVID-19 pandemic did not leave much room for thorough deliberations and for consulting the various stakeholders, which is a process that ordinarily precedes the drafting of documents whose content is potentially instrumental in deciding who is to live and who to die (Canadian Medical Association 2020 , p. 1; Jöbges and Biller-Andorno 2020 , p. 4; Lübbe 2020 , p. 434; Swedish Council on Medical Ethics 2020 , p. 66); nor was there any time to put into writing the various ethical background assumptions. Systemising the different criteria of prioritisation that the countries chose and tracing them back to their underlying values and theories of distributive justice is therefore vital—not only for managing the current pandemic but also in preparation for the next global health crisis.…”

“…To what extent acts and omissions are ethically similar is a complex debate in which we cannot here engage (see Emanuel et al 2020 , p. 4 f.). Especially ex-post triage also raises a host of difficult juridical questions (Lewandowski and Schmidt 2020 , p. 36; Lübbe 2020 , p. 435 f.). However, this form of triage comes with the important advantage of offering patients ICU-trial treatments instead of relying on the often less accurate prognostic information available at the point of hospital admission.…”

Rechtliche Regelung der “Triage” – Gesundheitssysteme an ihren Grenzen

“…Abhängig davon, ob sich die Ressource in kurzer Zeit wieder für neue Behandlungsbedürftige bereitstellen lässt oder nicht, kann eine unterschiedliche Anzahl an Patienten behandelt werden. Jedoch greift auch hier wieder die verfassungsrechtliche Grenze des nicht erlaubten Vergleichs zweier oder mehrerer Leben, da es sich dabei unmittelbar um eine Verwirklichung des Prinzips der utilitaristischen Maximierung handelt 65 . Die Begründung, ein Leben zu opfern, um eine größere Zahl Behandlungsbedürftiger zu retten, ist für denjenigen, dessen Leben in Gefahr ist, nicht zufriedenstellend 66 .…”

“…Der Ruf der Ärzte hallt nach. Vor allem in der deutschen Rechtslehre 17 wird, in Anlehnung und in Zusammenarbeit mit medizinischen und ethischen Grundsätzen 18 , zunehmend darüber diskutiert, ob und inwieweit es Aufgabe eines Rechtsstaates sein kann und muss, Vorgaben für Entscheidungen im Triage-Fall zu geben. Die Diskussion streift neben verfassungsrechtlichen Grundsätzen 19 auch Überlegungen zur straf-und zivilrechtlichen Verantwortung des sanitären Personals.…”