ZusammenfassungNach einer Gewalttat entstehen bei Betroffenen nicht nur psychische und
körperliche Schäden, sondern auch eine Beeinträchtigung
in der beruflichen, sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe. Bislang fehlen
allerdings Studien zur Ausprägung der Teilhabebeeinträchtigung
und prognostisch relevanter Merkmale. Anhand eines Kategoriensystems wurden aus
Akten soziodemographische Angaben, trauma-, tat- und gesundheitsspezifische
Merkmale erwachsener Opfer von Gewalttaten, deren Anspruch auf Leistungen nach
dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) anerkannt waren, erfasst. Basierend
auf psychiatrischen Gutachten zur Schädigungsfolge wurde ferner die
Teilhabebeeinträchtigung orientiert an der International Classification
of Functioning, Disability and Health (ICF) post-hoc beurteilt. Die Daten
beruhen auf 99 Akten; 72 der Betroffenen waren weiblich. Das durchschnittliche
Alter der Opfer bei der Tat betrug 25 Jahre. 53 waren Opfer von Gewalttaten
gegen die sexuelle Selbstbestimmung, 24 Opfer von Formen von
Körperverletzung und 45 Opfer anderer Gewalttaten. 29 wurden Opfer
mehrerer Arten von Gewalttaten. Bei allen Personen lag mindestens eine
psychische Störung mit Krankheitswert vor. Zwischen dem ersten und
zweiten Gutachten vergingen im Durchschnitt vier Jahre. Während 85 der
Betroffenen angegeben hatten, vor der Tat berufstätig gewesen zu sein,
waren dies nach der Tat noch 53. Die ausgeprägteste
Beeinträchtigung der Teilhabefähigkeit zeigte sich in der
beruflichen Teilhabe. Mithilfe einer multiplen Regressionsanalyse wurde
deutlich, dass eine höhere Teilhabebeeinträchtigung mit einer
fehlenden Berufstätigkeit und einem höheren Grad der
Schädigung nach der Tat sowie der persönlichen Bekanntheit des
Opfers mit dem Täter assoziiert war; nicht aber mit dem Vorliegen einer
psychischen Störung oder das Fehlen vertrauensvoller Beziehungen des
Opfers. Zukünftig sollte die Teilhabebeeinträchtigung
regulär während der psychiatrischen Begutachtung ICF-basiert
eingeschätzt werden. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass
insbesondere Leistungen zur beruflichen Teilhabe im Rahmen des OEGs zu
gewähren sind.