Die Verschärfung des politischen Terrors nach der Ermordung Kirovs bekam Radek zunächst nicht am eigenen Leibe zu verspüren. Er war der wichtigste journalistische Sprecher für die Außenpolitik des Kreml' und arbeitete in der Verfassungskommission zusammen mit Stalin und Bucharin an einem Tisch. 1936 ließ Stalin ihm angeblich sogar einen neuerlichen Vertrauensbeweis zuteil werden und soll ihn mit einer diplomatischen Geheimmission in Danzig beauftragt haben. 1 Radek war zwar nicht wieder ins Zentralkomitee der Partei aufgenommen worden, aber er war ohne Ehrgeiz. Im Vergleich zum Schicksal mancher seiner Freunde aus der Linksopposition hatte er ein privilegiertes Leben als Chef der aussenpolitischen Redaktion der "Izvestija" und in seiner Nischenexistenz als Leiter des Büros für Internationale Information beim CK der VKP(b), das immer noch ein Schattendasein führte. Von denen, die gemeinsam mit ihm kapituliert hatten, befand sich Preobraženskij seit 1933 wieder in der Verbannung. I. N. Smirnov saß seit 1933 und Smilga seit Januar 1935 im Polit-Isolator von Verchneural'sk. Dort verbüßten auch Zinov'ev und Kamenev ihre Haftstrafen. Mračkovskij hatte man im März 1935 ins Besserungsarbeitslager geschickt. Andere schienen glimpflich davongekommen zu sein. Pjatakov war wieder ins CK aufgenommen worden und Stellvertretender Volkskommissar für die Schwerindustrie. Sokol'nikov hatte man zum Kandidaten des CK gewählt und zum Ersten Stellvertretenden Volkskommissar für Forstwirtschaft ernannt. Er war ebenfalls Angehöriger der Verfassungskommission. Serebrjakov bekleidete eine leitende Position in der Verwaltung für Verkehrswesen. Aber auch Führer der Rechtsopposition befanden sich in Amt und Würden. Bucharin war CK-Mitglied und Chefredakteur der "Izvestija" und Rykov Kandidat des CK und Volkskommissar für Post-und Telegraphenwesen. Andere, die gleichfalls ihren Frieden mit Stalin gemacht hatten, wie Rakovskij, Krestinskij, Karachan, Antonov-Ovseenko, wirkten auf Auslandsposten als Botschafter oder Leiter sowjetrussischer Handelsvertretungen. Der Mord an Kirov hatte eine Lawine des Schreckens ausgelöst. Eine Schlüsselrolle bei der nun anlaufendenden "großen Säuberung", in der Stalin die alte Parteigarde liquidierte, spielte Nikolaj Ivanovič Ežov 2 , den Stalin zum wichtigsten Hel-1 Den einzigen Hinweis auf die Reise nach Danzig gibt Alexandrow (S. 70-82). Demnach hat Radek im Vorort Oliva mit Vertretern der deutschen Reichsregierung Gespräche geführt, deren Inhalt jedoch im Dunkeln blieb. Möglicherweise sondierte er ein Zusammengehen gegen Polen oder eine Wiederaufnahme der militärischen Kooperation mit Deutschland. Von seinen Gesprächspartnern im Zusammenhang mit Stalins Säuberungen auf sein persönliches Schicksal angesprochen, soll Radek geäußert haben: "Bei uns in der UdSSR ist alles möglich […] alles kann geschehen. Es ist sogar möglich, dass ich überlebe." 2 Ežov, Nikolaj Ivanovič (1895-1940); 1934-1939 Vorsitzender der Parteikontrollkommission des CK der VKP(b) und Sekretär des CK. Vom 6.9.1936-25.11.1938 Volkskommissar...