ZusammenfassungDer Beitrag widmet sich dem Umgang mit der Alkoholproblematik in der DDR und
spezifisch in Rostock anhand des 1983 entstandenen Dokumentarfilms
„Abhängig“. Dabei geht es nicht um eine dezidierte
Filmanalyse. Vielmehr fungiert er als Anlass, sich aus mikrohistorischer
Perspektive mit den verschiedenen Dimensionen des Umgangs mit Alkoholkranken in
einem DDR-Großbetrieb auseinanderzusetzen. Aus historischer Sicht ist
der Dokumentarfilm gleich in mehrfacher Hinsicht interessant und eignet sich
hervorragend als Quelle und Analyseinstrument der DDR-Psychiatriegeschichte. Es
ist das Ineinandergreifen ideen- und sozialgeschichtlicher Perspektiven, die die
Spannung zwischen gesellschaftlicher Ächtung einerseits und Anerkennung
des Alkoholismus als Krankheit andererseits über das Medium Film
erfahrbar macht, zudem Versuche der Etablierung von Therapien in
multiprofessionellen Teams und damit Wege aus der Sucht aufzeigt.
Ergänzend wird auf erstmals eingesehenes umfangreiches Archivmaterial
sowie Zeitzeugeninterviews zurückgegriffen. Nicht zuletzt
ermöglicht der Einblick in den Sozialraum „volkseigener“
Großbetrieb (Neptunwerft mit Betriebspoliklinik) einen differenzierten
Zugang in die realsozialistische Gesellschaft und deren spezifischen Umgang mit
– im weitesten Sinn – abweichenden und in der jeweiligen
Interpretation randständig-asozialem oder krankhaftem
übermäßigen Alkoholkonsum. Neben dem Aufzeigen
verschiedener Sichtweisen auf die Alkoholproblematik in der DDR, in deren
Verlauf eine Ausweitung des medizinischen Definitionsbereichs erfolgte, zielt
der Beitrag darauf, Anstöße für vergleichende
Forschungen zu geben, notwendige Perspektivwechsel aufzuzeigen und langfristig
allgemeingültige Aussagen über die Rolle der Psychiatrie im
Kontext des Gesundheitswesens der DDR zu treffen.