Evidenzen für eine monogenetische Theorie der romanischen Pluralmarkierungen 0. Einleitung Im Großunternehmen Romania sind S und I nicht die geringfügigsten Teilhaber: Sie besitzen ein nahezu exklusives gemeinsames Verfügungsrecht über dieselbe nominale Funktion: Beide markieren den Plural. Beide partizipieren darüber hinaus im verbalen Bereich an der Markierung der zweiten Person Singular. Von dieser zweiten Funktion soll hier nur am Rande die Rede sein. Gemeineigentum (dinglicher oder funktionaler Art) drängt zur Parzellierung: Solange Robinson Crusoe seine Insel allein bewohnte, konnte er über Fragen der Nutzung (der Ressourcen, der eigenen Fähigkeiten, der Erzeugnisse) allein entscheiden. Mit dem Eintritt von Friday stellt sich unvermeidlich die Frage der Verteilung: Aufteilung (von Gütern/Rechten/Pflichten) oder Ausschaltung des Mit-Teilhabers, Kooperation oder Aggression, Locke oder Hobbes. Nicht nur der Homo oeconomicus unterliegt diesem Verteilungs-Spiel und dessen Spiel-Regeln: Dieselben Eckwerte definieren auch den funktionalen Spiel-Raum von konkurrierenden sprachlichen Funktionsträgern, z. B. der sprachlichen Funktionsträger S und I. Deren Verteilungskampf scheint gelöst: Sie sind entweder getrennt zuständig für komplementäre Areale, oder sie tragen in bestimmten Arealen die Zuständigkeit gemeinsam, aber dann aufgeteilt auf komplementäre Kontexte oder auf komplementäre Funktionen. Wie kam es zu diesen komplementären Lösungsmodellen? Waren S und I ab origine gemeinsam präsent (zwei Robinsons)? Oder kam einer dieser beiden Funktionsträger erst nachträglich hinzu (wie Friday)? Falls ja: Woher? In welcher Eigenschaft? Als Fremder/als Partner/als Sohn (Robinson & Co/Robinson & Sohn)? Und wie konnte der «Neue» für sich Domänen gewinnen? Die Konkurrenzsituation zwischen S und I ist in der romanistischen Literatur hinreichend behandelt worden. Dabei ist das Forschungsdesign, wie es scheint, fremdbestimmt von einer unbewusst vorausgesetzten Axiomatik. Unter diesem Aspekt referiere ich hier die wesentlichen Punkte. Eine weitere Alternative scheint hinzu zu kommen, die Metamorphose von -OS zu -i unter bestimmten satzsyntaktischen Bedingungen. Dies legt die provenzalische und die alpenligurische Dialektgeographie nahe. Brought to you by | University of Arizona Authenticated Download Date | 5/27/15 9:43 PM S & I Dieses Verdikt macht alternative Erklärungsmodelle notwendig. Der Verdacht liegt nahe, dass diese dem Druck des Theorie-Designs Ð dem Taboo (1) Ð gehorchen. Die diversen Erklärungsmodelle stelle ich in den nachfolgenden Paragraphen vor. Doch zuvor möchte ich die bisherige Skizze von der arealen Verteilung unseres Morphem-Paares etwas korrigieren. 1.2 S und I: komplementäre KontexteDas Bild von der komplementären arealen Verteilung von -s / -i ist zu holzschnittartig: Es gibt romanische Idiome, in denen beide Morpheme an der Pluralbildung beteiligt sind. Dort bedarf daher die heterogene Herleitung, die durch das Ausschluss-Postulat (1) suggeriert ist, einiger Erläuterungen. Die Distribution der beiden Allom...