Imperfekte Autonomie und Neopaternalismus

Unsicherheit in der Patienteninformation – Verunsicherung oder Chance?

“…So zeigt der Einsatz von Entscheidungshilfen ( ' decision aids'), dass zwar der Informationsgrad der Patienten erhö ht wird, der Entscheidungskonflikt verringert und die Ü bereinstimmung zwischen eigenen Pra¨ferenzen und der gewa¨hlten Behandlung verbessert wird -die Ergebnisse zur Patientenzufriedenheit sind aber gemischt [19]. Im Wesentlichen haben sich zur Kommunikation von Risiken und Unsicherheit folgende Strategien bewä hrt, mit dem Ziel, eine Entscheidung mit einem fü r den Patienten akzeptablen Nutzen-Unsicherheit Verhä ltnis zu erreichen [4,20]: Lorenzo Odones Eltern begannen Mitte der achtziger Jahre nach der hoffnungslosen X-ALD Diagnose ihres Sohnes selbst die relevante wissenschaftliche Literatur zusammenzutragen und auszuwerten. Sie kamen zu dem bis heute geltenden Schluss, dass die bei X-ALD Patienten typische, zu hohe Anzahl von ü berlangen, gesä ttigten Fettsä ureketten im Blut durch die Zufuhr bestimmter Mengen von einfach ungesä ttigten Fettsä uren reduziert werden kann.…”

“…Auch von staatlicher Seite wurde ihre Position in den letzten Jahren aufgewertet [3]. Zugleich fü hrt dieser Paradigmenwechsel vom Paternalismus zur Partnerschaftlichkeit auch in der Rechtssprechung weg von der ä rztlichen Sorge um das Wohl des Patienten hin zum ä rztlichen Aufkla¨rungs-willen, Einbeziehung des Patientenwillen und -in gewissen systemimmanenten Grenzen -zur Patientenautonomie [4]. Die Politik sieht den Verbraucher in einer Rolle, zu der das '' Recht auf Information ' ' gehö rt, die ihn als '' gleichberechtigten Partner ' ' darstellt und will ihn in der ' ' aktiven Verbraucherrolle unterstü tzen ' ' [5].…”

Zukunftsperspektiven der Medizinethik – aus Sicht des Rechts

“…[5, S. 546]). 4 Wie hier sieht es z. B. auch Hesse: Verfassung als "Zwischen-und Bindeglied" zu "bewährten Rechtstraditionen", "Rechtsgrundsätzen" und "Leitbildern" zwecks Gewährleis-tung einer "richtigen rechtlichen Ordnung" ( 1 Rn 9 aE) [15].…”

“…Zum Problem muss insbesondere der Umstand werden, dass der "freie Wille" des Menschen in reiner und idealisierter Form nur in den Gesetzes-und Lehrbüchern, nicht aber in der Lebenswirklichkeit in Erscheinung tritt. Die sogenannte "Autonomie" ist daher per se eine imperfekte, verglichen mit dem Wunschbild zwangsläufig eine defizitäre Größe [4]. Dennoch postuliert das Rechtssystem das Leitbild vom "mündigen Bürger" und beschränkt sich häufig darauf, ausgewählte Konstellationen einer ausnahmsweise anzunehmenden "Unfreiwilligkeit" zu benennen oder um der Rechtssicherheit willen gar auf starre Altersgrenzen abzuheben, die von vornherein prädestiniert sind, den Einzelfall zu verfehlen.…”

“…Dennoch postuliert das Rechtssystem das Leitbild vom "mündigen Bürger" und beschränkt sich häufig darauf, ausgewählte Konstellationen einer ausnahmsweise anzunehmenden "Unfreiwilligkeit" zu benennen oder um der Rechtssicherheit willen gar auf starre Altersgrenzen abzuheben, die von vornherein prädestiniert sind, den Einzelfall zu verfehlen. Eher selten wird dagegen mit der nötigen Klarheit erkannt, dass die Fä-higkeiten des einzelnen Menschen je nach Lebenskontext nicht überschätzt werden dürfen, dem Recht somit auch die Aufgabe zukommt, adäquate Instrumente einer sozialstaatlich motivierten "Freiheitsvorsorge" bereitzustellen [4].…”