Im Zuge der archäologischen Erschließung Ägyptens und des Vorderen Orients im 19. Jahrhundert kamen zahlreiche Menschendarstellungen aus den Kulturen des Altertums zum Vorschein, die auch jenseits der Altertums‐ und Kunstwissenschaften große Faszination auszuüben vermochten. Dabei wurden insbesondere altägyptische Statuen und Reliefs weniger als ästhetische Repräsentationen, sondern als mimetisch‐typologische Darstellungen wahrgenommen, die nicht nur bestimmte Individuen, sondern ganze Völker mit ihren charakteristischen physischen Merkmalen abbilden. Vor diesem Hintergrund avancierten Abbildungen dieser Bildwerke zu wichtigen visuellen Referenzen anthropologischer Publikationen und sollten die Konstanz vermeintlicher Rassenmerkmale und damit die Gültigkeit wissenschaftlicher Klassifikationen belegen. Anhand vornehmlich deutschsprachiger Publikationen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert rekonstruiert der Beitrag die epistemologischen Voraussetzungen und bildästhetischen Prämissen der anthropologischen Lektüre altägyptischer Menschendarstellungen und geht der Frage nach, warum sich dieses Verfahren weitgehend auf Objekte aus den Kulturen des Alten Orients konzentrierte. Im Fokus steht hier die klassizistische Kunst‐ und Körperauffassung, die auf der einen Seite einer anthropologischen Lektüre von Objekten aus der klassischen Antike im Wege stand, auf der anderen aber dazu beitrug, den ägyptischen jenen mimetischen und typologischen Charakter zuzuweisen, der sie als visuelle Referenzen auch für die physische Anthropologie attraktiv machte.