Wenn wir an den Beginn des Ersten Weltkriegs denken, fallen uns -zumindest in der Geschichtswissenschaft -in der Regel das Sarajevoer Attentat, die diplomatische Julikrise, die Kriegsbegeisterung, die Bahnhofsbilder, der Burgfrieden sowie das Hochziehen der einzelnen Fronten ein. Verweilt man kurz bei der allgemeinen Kriegsbegeisterung, so verstand man darunter in Deutschland lange Zeit eine partei-, milieu-, geschlechter-, konfessionell-und generationsübergreifende Kriegsbegeisterung. Nachdem in Österreich-Ungarn mehrere "Nationen" bzw. "Völker" lebten, sprach die Forschung in diesem Fall auch von einer nationsübergreifenden Kriegsbegeisterung. Das einzementierte Bild von einer allgemeinen Kriegsbegeisterung hielt sich laut dem im Gedenkjahr 1914-2014 verstorbenen Historiker Hans-Ulrich Wehler selbst in der Geschichtswissenschaft "mit verblüffender Zählebigkeit über 80 Jahre hinweg". 1 Der Topos von einem ungetrübten Kriegsenthusiasmus, der sich heute noch in einigen wenngleich universitär verankerten, so doch forschungsresistenten Geschichtsbüchern und in vielen Bildbänden sowie in einigen Schulbüchern niederschlägt, wurde bereits seit den 1990er Jahren von mehreren Regionalstudien plausibel in Frage gestellt. Den Kern ihrer Thesen fasst Jay Winter folgendermaßen zusammen: "In fact, that ‚enthusiasm' was strictly limited to a few days and a narrow part of the population." 2 Die erste breit angelegte Forschungsambition zum Thema "Kriegsbegeisterung" markiert gewissermaßen der Anfang der 1990er-Jahre aus einer Tagung hervorgegangene Sammelband "Kriegsbegeisterung und mentale Kriegsvorbereitung". 3 Die Mehrheit der Beiträge dieses Tagungsbands kam zu der Einschätzung, dass das Ausmaß der Kriegsbegeisterung in mehrfacher Hinsicht begrenzt werden kann, was nicht bedeutet, dass dort, wo kein Kriegsenthusiasmus vorherrschte, der Krieg 1 Wehler (2003), 16. 2 Winter (2006), 146. Allgemeines zur Historisierung des Ersten Weltkriegs in: Meteling (2011); Winter/Prost (2005). Zu Österreich-Ungarn: Überegger (2004). Einen Einstieg in die Forschungen über die Steiermark im Ersten Weltkrieg bietet: Moll (2004b). Vgl. zudem die "deutschsprachige" Bibliografie zur Geschichte des Ersten Weltkriegs von: Regulski (2005). 3 In diesem Sammelband befanden sich bereits die wegweisenden Aufsätze von: Kruse (1991); Winter (1991). 10 Leonhard (2014), 129. 11 Demandt ( 3 2001), 77. 12 Das Gleiche gilt für die Methode der Oral History. Peter Knoch (1990) und Michael Stöcker ( 2 2014) griffen als einzige, der mir untergekommenen Forscher und Forscherinnen, explizit auf die Methode der Oral History zurück. Peter Knoch zeigt in seinem Kurzbeitrag anhand zweier Frauen, dass zwischen ihren (im Ersten Weltkrieg verfassten) Kinder-Kriegstagebüchern und ihren erzählten Erinnerungen in den 1980er Jahren Diskrepanzen bestehen. Michael Stöcker ließ in seiner Anfang der 1990er Jahre erstmals publizierten Studie (seine Magisterarbeit) gleich mehrere Zeitzeugen und Zeitzeuginnen zu Wort kommen. Die Art und Weise, wie in diesen beiden Studien die Methode...