Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Sys-Zwei Jahre nachdem eine Expertenkommission des Vatikan die Institution der Vorhölle offiziell für geschlossen erklärt hatte, verkündete der französische Soziologe Luc Boltanski, dass Europa tatsächlich zu einer Vorhölle geworden sei (Boltanski 2011). Seine Kantate für mehrere Stimmen zeichnet ein erschreckend realistisches Bild jenes Zwischenreichs, in dem wir endlos darauf warten, vielleicht doch noch erwählt zu werden, doch noch in die Zone der Sicherheit, der Anerkennung und des Erfolgs aufzusteigen, während unter unseren Füßen die sozialen Sicherungsnetze aufgetrennt werden. Die folgende Untersuchung geht davon aus, dass dieser Zustand am besten mit dem Begriff der Prekarisierungsgesellschaft bezeichnet wird -dem sozialdiagnostischen Äquivalent des theologischen Konzepts der Vorhölle. In der Prekarisierungsgesellschaft sind alle -bis auf eine schmale Schicht von finanziell Superabgesicherten -existenzieller Verunsicherung ausgesetzt, und das schon allein deshalb, weil die sozialen Sicherungssysteme an Erwerbsart gekoppelt sind und deren Status zunehmend prekär wird. »Die Prekarisierung betrifft alle«, so André Gorz. Denn: Jeder Einzelne von uns weiß, fühlt, begreift sich als potentiell arbeitslos, potentiell prekär beschäftigt, potentiell auf Teilzeit-, Termin-oder Gelegenheitsjobs angewiesen. Aber was jeder und jede Einzelne weiß, wird noch lange nicht zum allgemeinen Wissen über unsere gemeinsame Lage. Vielmehr setzt der herrschende öffentliche Diskurs alles ein, um uns unsere gemeinsame Lage zu verschleiern, um zu verhindern, daß wir die Prekarisierung unserer Erwerbsverläufe als ein gesellschaftlich verursachtes Risiko erkennen, das uns alle als Angehörige dieser Gesellschaft betrifft: Als »soziale Individuen«, wie sie Marx nannte, und nicht als Einzel-oder gar Privatpersonen.