Durch ein gesetzlich geregeltes Verfahren soll derzeit der Standort gefunden werden, der die bestmögliche Sicherheit zur Entsorgung der hochradioaktiven Abfälle der Bundesrepublik Deutschland bietet. Das Standortauswahlverfahren soll lernend, selbsthinterfragend, und damit reversibel sein. Das Feld ist von vielfältigem Expertenwissen und -handeln geprägt. Änderungen im reversibel gestalteten Verfahrensablaufdurch Erkenntnisgewinn oderNeubewertung bestehenden Wissens sind zu erwarten. Dissens zwischen Experten kann in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle spielen. Um Handlungsempfehlungen für reversible Verfahren im Allgemeinen und das Standortauswahlverfahren im Besonderen zu formulieren, müssen die Mechanismen und Wirkungen von Expertendissensen besser verstanden werden. So kann Dissens über den wissenschaftlichen Status-Quo fruchtbar sein, da er Unsicherheiten imWissen aufdeckt und neue Forschung ermöglicht. Andererseits kann er bei Bürgern und Entscheidern zu Verunsicherung führen. Expertendissens kann darüber hinaus instrumentell eingesetzt werden, um beispielsweise politische Ziele zu verfolgen. Im Hinblick aufdie Reversibilität des Standortauswahlverfahrens soll dieser Beitrag klären helfen, ob und wie Expertendissens aufEntscheidungsprozesse Wirkung entfalten kann. Dazu werden eine Definition von Expertendissens basierend aufSekundärliteratur erarbeitet sowie das Konzept der Reversibilität näher beschrieben. Das im StandAG festgehaltene Reversibilitätsverständnis wird anderen Ansätzen aus verschiedenen Disziplinen gegenübergestellt. Anhand historischer Fälle von Expertendissens im Rahmen von Endlagerprojekten wird eine Typologie entwickelt und untersucht, ob und wie diese historischen Dissense Wirkung im jeweiligen Kontext entfaltet haben. Zudem wird geprüft, welche Lehren daraus für das Standortauswahlverfahren gezogen werden können.