Ein molekularer Blick auf die Heterogenität in Gläsern

Abstract

Trotz der technischen Bedeutung von Gläsern und ihrer Allgegenwart im täglichen Leben haben wir noch immer keine klare Vorstellung darüber, wie die Abkühlung einer nichtkristallisierenden Flüssigkeit und der Übergang in den ungeordneten festen Zustand ablaufen. Die abnehmende Temperatur erhçht die Viskosität der Flüssigkeit um mehrere Zehnerpotenzen, und die Relaxation scheint zum Stillstand zu kommen. In der Praxis wird die Glasübergangstemperatur T g als der Punkt definiert, an dem keine Relaxation mehr messbar ist und die Viskosität etwa 1 TPa s erreicht. Die ¾nderung der Viskosität kann bei Gläsern mit hoher Glasbildungsfähigkeit, z. B. SiO 2 , durch eine Arrhenius-Funktion beschrieben werden, während sich fragile Gläser wie die der meisten molekularen Glasbildner gemäß der Vogel-Fulcher-Gleichung verhalten. [1] Mit der Viskosität und dem (die Elastizität charakterisierenden) Schubmodul des Materials kçnnen wir die charakteristische Zeit definieren, die für homogene Medien skalenunabhängig ist. Sie wird als alpha-Relaxationszeit bezeichnet und kann als die Zeit der Reorganisation des Materials bis in die molekularen Skalenbereiche angesehen werden. Mit einem charakteristischen Schubmodul von 1 GPa und einer Viskosität des Glases von 1 TPa s erhält man eine Relaxationszeit von 1000 s als die Reorientierungszeit eines typischen Moleküls am Glasübergangspunkt (eine Erhçhung um 15 Zehnerpotenzen gegenüber der Relaxationszeit eines kleinen Moleküls in der normalen Flüssigphase, die 1 ps beträgt). Diese einfache Argumentation beruht auf der Annahme eines räumlich homogenen Mediums und entspricht dem Bild von Glas als einer "Flüssigkeit in langsamer Bewegung". Allerdings weiß man schon lange, dass dieses naive Bild irreführend ist. Adam und Gibbs haben erklärt, weshalb ein Zusammenwirken vieler Moleküle die Voraussetzung für eine hohe Viskosität ist, [2] und zwar wird der Bereich kooperativer Bewegung ("cooperatively rearranging regions", CRRs) mit zunehmender Viskosität immer grçßer. Eine solche stark hierarchische Molekülanordnung ist vçllig unvereinbar mit der Struktur einer Hochtemperaturflüssigkeit, in der alle molekularen Korrelationen kurzreichweitig sind. Strukturell muss sich eine glasartige Flüssigkeit daher grundsätzlich von einer Hochtemperaturflüssigkeit unterscheiden. Die Heterogenität von glasbildenden Materialien ist zwar schon lange bekannt, [3,4] doch mit normalen Ensemblemessungen sind die Strukturunterschiede nicht erkennbar. Inhomogenitäten, die die Bereiche kooperativer Bewegung verursachen, sind vermutlich zu fein für eine Detektion bzw. werden meist über die Ensemblemessung herausgemittelt. Um das Glasverhalten besser verstehen zu kçnnen, muss man die Heterogenität als wesentlichen Aspekt in die Materialbeschreibung einbeziehen.Am Beginn der Kristallisation von Honig bilden sich feststoffartige Klumpen innerhalb einer dünneren Flüssigkeit. Solche Fest-Flüssig-Gemische oder Schlämme kçnnen als Anschauungsbeispiele für mçglichen Abläufe in einer heterogenen glasbildenden Flüssigkeit dienen. Ein...