Die Ausdrücke "Wahrheit" und "wahr" verwendet die klassische Philosophie in doppelter Weise. In der platonischen Tradition werden eine bestimmte Klasse abstrakter Gegenstände, die Ideen, als das "in Wahrheit" oder "wahrhaftig" Seiende bezeichnet. Wahrheit ist dabei eine Qualifikation von Gegenständen, und man kann deshalb von einem ontologischen Wahrheitsbegriff sprechen. Ebenfalls seit Piaton werden Aussagen als "wahr" bezeichnet, genauer: die in den Aussagesätzen einer beliebigen Sprache ausgedrückten Gedanken oder Propositionen. Wahrheit ist dabei eine Eigenschaft dieser Propositionen, und man kann deshalb von einem propositionalen Wahrheitsbegriff sprechen. Die moderne Philosophie hat den ontologischen Wahrheitsbegriff seit dem achtzehnten Jahrhundert weitgehend aufgegeben. Seitdem gilt als dasjenige, bei dem Wahrheit überhaupt in Frage kommen kann, nahezu ausschließlich der in sinnvollen Aussagesätzen ausgedrückte Gedanke.Mit der Abschaffung des ontologischen Wahrheitsbegriffs ist aber auch ein anderer, prominenter Gebrauch des Wahrheitsprädikates unverständlich geworden: der ästheti-sche Wahrheitsbegriff. Die Ausdrücke "wahr" und "Wahrheit" sind immer auch auf Kunstwerke angewandt worden. Wenn wir den ontologischen Gebrauch des Wahrheitsprädikates nicht länger nachvollziehen können, dann bleibt zur Erläuterung der ästheti-schen Wahrheit nur der propositionale Wahrheitsbegriff übrig. Aber das scheint zwangsläufig in die Irre zu führen, denn Kunstwerke sind nicht-propositionale Gebilde. Die philosophischen Theorien der Kunst haben eine Reihe von Versuchen unternommen, mit diesem Problem umzugehen. Es gibt bedeutende Kunstästhetiken, die versucht haben, ein ästhetisches Wahrheitsprädikat im ontologischen Sinne wieder zu etablieren. Das reicht zurück zur idealistischen Metaphysik der Kunst bei Schelling und Hegel, führt aber auch zu so unterschiedlichen Konzeptionen wie denjenigen von Heidegger, Gadamer, Adorno und selbst noch Derrida.Umgekehrt, in Abwehr der klassischen Wahrheitsästhetik, hat es aber auch Versuche gegeben, die ästhetische Wahrheit in dezidiert nachmetaphysischer Weise durch eine je verschiedene Verortung von Kunst und ästhetischer Erfahrung in der Vielfalt der Rationalitätstypen zu beschreiben. Überlegungen dieser Art führen entweder zu dem Ergebnis, dass das Wahrheitsprädikat den Kunstwerken nur noch metaphorisch zugeschrieben werden kann, wobei die ästhetische Erfahrung selbst zu einer Interferenz unserer nicht-ästhetischen Wahrheitsverständnisse führen kann; oder sie haben zum Resultat, dass das Wahrheitsprädikat den Kunstwerken überhaupt nicht zugeschrieben werden Brought to you by | University of Michigan Authenticated Download Date | 6/30/15 8:16 AM