Als ein anthropologisch-kognitives Grundprinzip ist Perspektivierung eine Grundbedingung aller Wahrnehmung: Jede Betrachtung setzt implizit den Betrachterstandort eines wahrnehmenden Subjekts voraus und selegiert sowie segmentiert somit die Realität in Wirklichkeitsausschnitte. In diesem allgemeinen Sinn ist jede Form von Repräsentation -und damit auch die Narration als basaler Darstellungsmodus -genuin perspektivisch (vgl. Schmid 2003, 256 sowie 2008 Hartner 2012, 3). Für das Erzählen gilt dies jedoch noch in besonderer Weise, da narrative Texte die repräsentierten Ereignisse nicht nur durch den Blick eines aktuellen Sprechers, sondern zusätzlich durch Erzählinstanz(en) und Figuren perspektivisch gebrochen vermitteln. Das Konzept der Perspektive ist damit unmittelbar an die Mittelbarkeit des Erzählens als narratologische Grundkonstante gebunden.Literaturwissenschaft und Narratologie blicken daher auf eine lange Tradition der Erforschung von Erzählperspektiven zurück. Dass dem Terminus der Perspektive dennoch "eine bemerkenswerte terminologische Unklarheit und Uneinheitlichkeit in der Verwendung" (Nünning und Nünning 2000a, 10) zuzusprechen ist, liegt neben der Tatsache, dass Perspektive ein relationales Konzept ist und damit nicht konkrete Entitäten erfasst (Lanser 1981), auch daran, dass es als abstrakte Relation zwischen einem Betrachterstandort und einem fokussierten Realitätsausschnitt auf unterschiedliche Ebenen narrativer Texte und damit auf unterschiedliche Phänomenbereiche bezogen worden ist. Was unter narrativer Perspektivierung verstanden wird, ist damit selbst von der Betrachterperspektive abhängig.
Perspektive als SelektionsmechanismusWird Perspektivierung als grundlegender Selektionsmechanismus verstanden, kann es ohne Perspektive keine Geschichte geben, da sich jede narrative Darstellung erst durch die jeweilige Perspektive formiert. Da jede Geschichte auf der Selektion bestimmter Geschehensmomente und deren Eigenschaften basiert (vgl. z. B. Schmid 2008, 252-260) und damit deren Darstellungsform bedingt, wie es