Affekte und Differenzordnungen in der deutschen MigrationsgesellschaftEinleitung Die primäre Aufgabe der sozial-und kulturanthropologischen Emotionsforschung liegt in der Aufdeckung und Untersuchung kulturell modellierter emotionaler Verhaltensweisen sowie ihrer Generierung im sozialen Handeln (Röttger-Rössler 2002: 159). Damit richtet sich die Aufmerksamkeit unmittelbar auf die soziale Funktion sowie die Sinn-und Zweckhaftigkeit von Affekten und Emotionen im menschlichen Zusammenleben (ebd.). Davon ausgehend untersuche ich im Folgenden für den Bereich Migration und Flucht die Beziehung zwischen Affekten und der Heranbildung antidemokratischer sowie antiheterogener Einstellungen in Deutschland 1 . Im Vordergrund steht die Reflexion von Versuchen, eine "kulturelle Normalisierung" antiheterogener Werte und Semantiken durch unterschiedliche Affizierungspraxen vor dem Hintergrund eines immer pluraler werdenden Deutschlands durchzusetzen. Dabei wird angenommen, dass sich diese antiheterogenen Semantiken und Überzeugungen nicht zu einem einheitlichen und in sich geschlossenen hegemonialen Diskurs zusammenführen lassen. Menschliche Affektivität wird entsprechend jenseits des psychoanalytisch geprägten Identifikationsmodells verstanden, das die Identifikation stets mit einer zentralen Instanz und somit einem signifikatorischen Prozess verknüpft. Angesichts der Tatsache, dass sich Affekte auch auf eine unpersönliche, nicht unmittelbar über einen bewussten Identifikationsmechanismus abgeleitete Matrix beziehen, können sie -im Unterschied zu Emotionen, die bereits in gesellschaftlich etablierte Diskurse eingebettet sind und auf bestehenden Wissensbeständen beruhen -nicht immer eindeutig bestimmt und narrativ dargestellt werden. Im Anschluss an Laclau (2005), Stäheli (2007) und Massumi (2002) kann infolgedessen gegenseitige Affizierbarkeit derart konzeptualisiert werden, dass sie keine vorgängige Identifikation mit einem leeren Signifikanten (oder einer zentralen Führerfigur) benötigt. Eine Konzeptualisierung von Affekten, die exklusiv auf eine diskursive Artikulation ausgerichtet ist, klammert aus vorliegender Perspektive wesentliche politische Momente aus, die für die Frage nach Ein/Ausschluss von (Flucht)Migrant:innen und deren Zugehörigkeit in der deutschen Migrationsgesellschaft relevant sind: Affekte haben gerade dadurch, dass sie unbestimmt und nicht auf anerkannte diskursive Bahnen fixiert sind, eine ganz 1 In meiner Forschung untersuche ich unterschiedliche Kontexte von Migration und Flucht vor dem Hintergrund post-demokratischer Verhältnisse und fokussiere Fragen nach Anerkennung, Identität und Affekten und Emotionen (Dissertation: Die emotionale Erfahrung des Asyls. Lebenswelten afghanischer Geflüchteter in Berlin, 2021 erschienen bei Springer). Neben epistemischen und methodischen Fragen der Migrations-und Rassismusforschung interessieren mich vor allem Repräsentationsweisen eingewanderter Menschen und ihrer Lebenswelten und damit verbundene Formen gegenwärtiger Diskriminierungspraxen im Alltag.