Ängste im Umgang mit suizidalen Patient/innen: Eine vergleichende Untersuchung von approbierten Psychotherapeut/innen und Psychotherapeut/innen in Ausbildung

Abstract

<jats:title>Zusammenfassung</jats:title><jats:p> Theoretischer Hintergrund Ein Patient/innensuizid stellt die am häufigsten genannte, berufsbezogene Befürchtung von Psychotherapeut/innen dar. In der vorliegenden Untersuchung sollen Ängste im Umgang mit suizidalen Patient/innen spezifiziert werden – sowohl bei approbierten Psychotherapeut/innen (aPT) als auch bei Psychotherapeut/innen in Ausbildung (PiA). Die Ergebnisse sollen zudem mit einer analogen Erhebung von 1996 verglichen werden.</jats:p><jats:p> Methode N=271 Psycholog/innen, davon n=90 aPT und n=181 PiA, nahmen an einer Onlinebefragung teil. Erfasst wurden Ängste im Umgang und berufliche Erfahrungen mit suizidalen Patienten/innen anhand des Fragebogens zur Erfassung von Therapeutenängsten von Dorrmann (2016). Zudem wurde mithilfe eines selbstkonstruierten Tests suizidbezogenes Wissen erfragt. Folgende Hypothesen wurden überprüft: (1) aPT haben weniger Ängste im Umgang mit suizidalen Patienten/innen als PiA, (2) PiA und aPT unterscheiden sich im Hinblick auf ihr Wissen und ihre Erfahrung zum Thema Suizidalität, (3) die Ergebnisse der aktuellen Befragung ergeben weniger Ängste bei Psychotherapeut/innen als die Ergebnisse einer vergangenen Befragung von Dorrmann (1996). Schließlich wurde folgende explorative Fragestellung untersucht: Hat der Status (aPT vs. PiA) Auswirkungen auf die Ängste vermittelt über die Erfahrung sowie das Wissen?</jats:p><jats:p> Ergebnisse Die folgenden Ängste werden von Therapeut/innen am häufigsten berichtet: Angst vor Schuldgefühlen/Selbstvorwürfen nach einem Suizidversuch/Suizid, Angst vor Fehleinschätzungen und den damit verbundenen Konsequenzen, Angst vor juristischen Konsequenzen nach einem Suizidversuch/Suizid, Angst vor Vorwürfen durch Andere (Angehörige des Patient/innen/Kolleg/innen) nach einem Suizidversuch/Suizid. PiA berichten stärkere Ängste im Umgang mit suizidalen Patient/innen als aPT. Die berufliche Erfahrung mediiert den Zusammenhang zwischen beruflichem Status und Ängsten. Im Vergleich berichten Therapeut/innen heute von weniger Ängsten als vor 20 Jahren.</jats:p><jats:p> Schlussfolgerung Therapeut/innen fürchten sich v. a. vor den Folgen eines Suizidversuchs/Suizids. Insgesamt sind Ängste jedoch nur in moderater Form vorhanden und scheinen heute geringer ausgeprägt zu sein als vor 20 Jahren. Es lässt sich mutmaßen, dass eine zunehmende Professionalisierung des therapeutischen Umgangs mit suizidalen Patienten zu einer Reduktion von Therapeutenängsten beigetragen hat.</jats:p>

Suicidal ideation and attempts in adults seeking outpatient psychodynamic psychotherapy

“…Long‐term treatment would then only be offered if this could be confirmed. Third, it is also possible that therapists are afraid of the legal and emotional consequences of having a suicidal patient in treatment, therefore offering them fewer sessions (Conrad et al, 2021; Dorrmann, 2021; Levi‐Belz et al, 2020; Yulis & Kiesler, 1968).…”

Zur Aufnahme von Patient*innen mit Borderline Persönlichkeitsstörung in die ambulante Psychotherapie

“…Interessant erscheint in diesem Zusammenhang unser Ergebnis, dass die störungsspezifisch Weitergebildeten Suizidalität und autoaggressive Verhaltensweisen, wie Selbstverletzungen, als durchwegs geringeren Belastungsfaktor einstufen. Dies steht im Einklang mit einer kürzlich durchgeführten Umfrage, die ergab, dass mit zunehmender therapeutischer Erfahrung im Umgang mit Suizidalität Ängste bei der Behandlung suizidaler Patient*innen abnehmen [27]. Der angenommene Zuwachs an Sicherheit im Umgang mit schwierigen Therapiesituationen durch eine Weiterbildung könnte einen begünstigenden Faktor darstellen, auch eine höhere Anzahl an Patient*innen mit komplexen Störungsbildern, wie die BPS, gleichzeitig zu behandeln, wenn die Therapie als weniger persönlich belastend und ressourcenzehrend von Seiten der Psychothera peut*innen wahrgenommen wird.…”