10. Gertrud Lehnert

Angebliche Huren. Prostitutionskoketterie in zeitgenössischen Drag-Performances

“…[…] Yet within social media, the live and the mediatised converge: the content that we are receiving has undeniably been framed by media, yet its creation continues to unfold before us; […] indeed, we may actually contribute to that creation by adding comments, by editing the original content, by sharing it onwards, by ‹liking› what we have seen, and so on. 208 In DSM konvergieren folglich Vorstellungen von ‹live› und medial vermittelter Präsenz in gesteigerter Art und Weise: Nach Auslander ist das Verhältnis von Liveness und Mediatisierung «durch gegenseitige Abhängigkeit und Überlagerung, nicht durch eine Opposition» 209 My argument is that only ‹real disguise› can properly be called ‹female impersonation› and that this disciplined and antique art disappeared from the English stage in the late seventeenth century when actresses were finally accepted on the boards. After that time all female impersonation was, in effect, what I have called ‹false disguise›.…”

“…Auf den zuvor erwähnten Stonewall-Diskurs der 1970er-Jahre zurückgreifend, an dem besonders die in Teilen bis in die Gegenwart fortwirkende Ablehnung von queeren, prekarisierten Sexarbeiter*innen (of Color) in der politischen Emanzipationsbewegung der Gay Liberation gezeigt wurde, lassen sich vergleichbare, homonormative und klassistische Tendenzen bereits in der politischen Homosexuellenbewegung der Weimarer Jahre ausmachen. 196 Lücke 2008, S. 261. 202 Ebd., S. 263.…”

“…206 Ein Unwohlsein mit angeblich ausufernder Queerness sowie eine diffuse Furcht davor, selbst als queere Person wahrgenommen oder gar als deren Sexualpartner*in angerufen zu werden, drücken sich bis in aktuelle Diskurse in fast schon als geflügelte Worte zu bezeichnenden Äußerungen wie «Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber ich finde, ihr müsst aufpassen, dass ihr es nicht übertreibt» 207 oder «Also, ich habe nichts gegen die […], solange sie mich nicht […] anmachen» 208 aus. Mit der Abgrenzung von dem, was im zitierten Artikel mit dem Kollektivsymbol der ‹(maskulinen) Prostitution› beschrieben wird, steht außerdem ein Diskurs über mutmaßlich legitime und illegitime Partnerschaften und Sexualkontakte in Verbindung: So seien am Tauentzien höchstens «Apparate zum Austoben der animalischen Triebe», 209 aber keine «wahrhaftige Liebe oder Freundschaft» 210 zu finden. Wiederum werden so zum Beispiel als promiskuitiv oder polygam zu charakterisierende Sexualausübung und Begehrensweisen mit Prostitution gleichgesetzt.…”

“…196 Übertragen auf ein weiteres Beispiel aus dem Materialkorpus, lässt sich diese Beobachtung sowohl für das Livevideo als auch für dessen Archivierung bekräftigen: Die Drag-Performer*in Margot Schlönzke vermittelt einen Teil ihrer Performances seit mehreren Jahren ausschließlich über DSM. Sowohl Flüchtigkeit als auch Unwiederholbarkeit sind hier gegeben: Während des Livestreams können Rezipierende Kommentare senden oder Fragen stellen und somit (inter)aktiv ins Geschehen eingreifen.Für diejenigen, welche die erstmalige Aufführung verpassen, sind die jeweiligen Aufnahmen in Videoform auf Margot Schlönzkes DSM-Plattformen abrufbar, wobei die Kommentarfunktion auch im Nachgang offen ist und sich die Performance somit als sich ständig veränderndes und unabgeschlossenes Kunstwerk erweist: Aus einer witzigen Idee für ein interaktives Live-Werbevideo bei Facebook entwickelte sich im Frühjahr 2017 rasch die erfolgreiche Live-Sendung «Koch-Talk» bei der sich Margot Schlönzke sonntags um Punkt 19 Uhr prominente Gäste und Szene-Größen in ihre Küche einlädt, um gemeinsam mit ihnen zu plaudern und zu kochen.…”

“…Außerdem sei Mode «nicht ohne das materielle Artefakt -die Kleidung -zu denken, und genauso wenig ohne Körper[…], der in einem sozialen Kontext bzw. in Interaktion zu anderen bekleideten Körpern steht» 196. Dieses Modeverständnis als ephemeres, soziales und insbesondere ästhetisches Phänomen lehnt sich an einen erweiterten Aufführungsbegriff an und wäre demnach auch dem angeführten Begriff der Kostümierung nahestehend.…”